Darf man einen großen Künstler würdigen und etwaige Verfehlungen beiseite lassen? Nein. Aber sie sollten das Urteil über ihn nicht trüben.
Haben auch Sie sich gefragt, ob in der Würdigung Plácido Domingos nicht etwas fehlt? Es ist eine wichtige, prinzipielle Frage: Kann man einen bedeutenden Künstler, eine Ikone, zu seinem 80. Geburtstag feiern, ohne die Kratzer zu erwähnen, die sein „Image“ zuletzt erhielt? Die Me-Too-Debatte, in die dieses unverdrossen singende Denkmal einer verklingenden Opernstarwelt geraten ist? Ja, das kann man. Dafür hat sich unser Musikkritiker entschieden. Sein Herz darf ganz seiner Kunst, der Musik gehören.
Aber eine Zeitung, selbst eine Feuilletonredaktion hat kein (einiges) Herz. Daher die Entscheidung zu dem, was speziell in der bildenden Kunst mittlerweile gängige Praxis ist im Umgang mit historischen Fragwürdigkeiten: zur Kontextualisierung.