Fleischatlas

Die Schattenseite des saftigen Steaks

James Knappett, founder and head chef of 'Home' prepares sirloin steak in a kitchen in London
James Knappett, founder and head chef of 'Home' prepares sirloin steak in a kitchen in LondonREUTERS
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Mehr Krankheiten, mehr Umweltbelastung: Einen kritischen Blick auf Fleisch wirft der „Fleischatlas."

2,5 Milliarden Krankheitsfälle von Menschen werden pro Jahr durch Erreger ausgelöst, die von Tieren übertragen werden, 2,7 Millionen sterben. Nach Erkenntnissen der internationalen Organisation für Tiergesundheit werden fast drei Viertel aller beim Menschen auftretenden Infektionskrankheiten durch Zoonosen ausgelöst – Krankheiten also, die von Tieren auf Menschen übertragen werden. Corona gehört dazu, aber auch Geflügelpest, Aids, infektiöse Bronchitis oder das Nahost-Atemwegssyndrom.

Dass solche Krankheiten verstärkt übertragen werden können, werde wahrscheinlicher, schlussfolgern die Autorinnen des Fleischatlas, der vor wenigen Wochen von der Heinrich Böll Stiftung veröffentlicht worden ist und dessen Österreich-Ausgabe (mit vier landesspezifischen Kapiteln auf acht Seiten) in dieser Woche erschienen ist. „Stärkere Präsenz der Menschen, Verkleinerung der Lebensräume für Wildtiere, die größere Anzahl der Nutztiere und schließlich auch industrielle Tierhaltung“ begünstigten, dass Krankheitserreger vom Tier zum Menschen überspringen. Als besonders gefährdete Zonen werden das südliche China sowie die Länder des indischen Subkontinents eingestuft, aber auch Teile Europas und Afrikas.

Gut untersucht ist zum Beispiel der Ausbruch des Nipah-Virus in Malaysia. Die ökologischen Folgen von Brandrodungen und Dürre in Indonesien haben 1977 dazu geführt, dass etwa fünf Millionen Hektar Wald vernichtet wurden. Flughunde, die das Nipah-Virus in sich trugen, verlagerten ihren Lebensraum und fanden ihn in Mangofarmen. Durch Speichel und Urin kam das Virus auf Mangos, die auch von Hausschweinen gefressen wurden, wodurch das Virus über das Hausschwein schließlich auf Menschen übersprang. In der Folge seien viele an einer Gehirnhautentzündung erkrankt, die Zahl der Todesfälle sei in die Hunderte gegangen, heißt es im Fleischatlas.

Und es wird immer mehr Fleisch gegessen. Weltweit wurden in den 1970er Jahren, verglichen mit heute, etwa ein Drittel Fleisch verzehrt, seit dem Jahr 2000 hat sich der Verbrauch verdoppelt. Heute werden 320 Millionen Tonnen Fleisch verbraucht. Das hängt nicht mit dem Bevölkerungswachstum allein zusammen. Der Pro-Kopf-Verbrauch ist deutlich gestiegen. Den größten Appetit auf Fleisch haben die Menschen in den USA, Australien und Brasilien. In den USA werden mehr als 120 Kilo pro Kopf und Jahr konsumiert.

In Österreich sind das immer noch 93,8 Kilo – allerdings bekommen die Österreicherinnen soviel nicht zwischen die Zähne. Verzehrt werden zwei Drittel, 62,6 Kilogramm. Das dritte besteht aus Knochen und Sehnen oder Material, das zu Tierfutter verarbeitet wird - diese 31,2 Kilo werden in der landwirtschaftlichen Statistik unter dem Begriff „Schlachtabfälle“ zusammengefasst. Derzeit scheinen die Fleischmengen, die auf den Tellern landen, zu stagnieren, von einer Trendumkehr kann aber keine Rede sein. Und das obwohl Umfragen zeigen, dass insbesondere Jüngere angeben, weniger Fleisch zu konsumieren. Hierzulande ist der Anteil der Vegetarier und sich vegan Ernährenden auf 14 % gestiegen – vor zehn Jahren waren dies bloß 4 %.

Mehr Tiere, weniger Betriebe

Weltweit bewegt sich die Fleisch-Industrie deutlich in Richtung Konzentration: Immer mehr Tiere werden in immer weniger Betrieben gehalten. Diese globale Entwicklung findet auch in Österreich seinen Niederschlag, wenn auch - verglichen mit amerikanischen, australischen oder auch deutschen Zuständen - in deutlich kleinerem Rahmen. Ein paar Details zu den Zahlen in Österreich: 1993 gab es im Durchschnitt noch 20 Rinder pro Betrieb, 2018 waren es 30, bei Schweinen pro Hof 30 Tiere und 2018 schon viermal soviele (genau: 123). Das hat dazu geführt, dass von den 107.000 Schweine-Mastbetrieben 1995 im Jahr 2019 nur noch 21.000 übrig geblieben sind.

Das Mehr an Fleisch verschärft nicht nur die Gesundheitsprobleme von Menschen, sondern auch die Umweltprobleme. Etwa der Wasserverbrauch: Ein Kilogramm Rindfleisch verbraucht fast 15.500 Liter Wasser - zum Vergleich: ein Kilo Gemüse 322 Liter. Oder der Anbau von Futter (vor allem Soja und Mais), der damit verbundene Einsatz von Pestiziden und der Anbau dieser Futterpflanzen in Monokulturen, für die Regenwald gerodet oder Moorgebiete trockengelegt werden.

„In allen Bereichen ist die Politik gefragt“, sagt Eva Rosenberg, Geschäftsführerin der Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. „Ganz wichtig ist die Kennzeichnung. Alle Umfragen zu dem Thema zeigen deutlich, dass die Konsumenten bereit sind, für Fleisch aus guter Haltung mehr zu zahlen.“ In Umfragen beteuern Konsumenten, von einem „Mehr“ zu einem „Besser“ zu wollen.In der Praxis ist dies - mangels Kennezeichnung - allerdings kaum möglich. Denn von zentraler Bedeutung ist dabei die Gastronomie: „Hier ist eine Produktkennzeichnung besonders wichtig“, sagt Dagmar Gordon, Leiterin des Bereichs ,Biodiversität, Landwirtschaft, Ernährung und Chemie' bei der Umweltorganisation „Global 2000“.

In der Gastronomie zähle vor allem der Preis, alles andere gehe unter. Wie reformbedürftig das System sei, zeige beispielhaft etwa, dass viele Kälber aus Österreich nach Spanien exportiert würden, „wo sie dann gemästet werden“, so Gordon. „Sie werden in die Niederlande transportiert, dort geschlachtet und verpackt. Und dieses verpackte Fleisch kommt dann in Österreich wieder in den Handel.“

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