Reportage

„Es ist so gespenstisch still hier“

Die Tribünen vor dem Kapitol waren nur grüppchenweise besetzt - aus Pandemie-Gründen. Das Gelände war wegen Sicherheitsmaßnahmen weiträumig abgesperrt.
Die Tribünen vor dem Kapitol waren nur grüppchenweise besetzt - aus Pandemie-Gründen. Das Gelände war wegen Sicherheitsmaßnahmen weiträumig abgesperrt.REUTERS
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Unter noch nie dagewesenen Sicherheitsvorkehrungen ging Joe Bidens Angelobung über die Bühne. Das Kapitol und das Weiße Haus waren großräumig abgeriegelt, die Straßen Washingtons menschenleer.

Ein wenig niedergeschlagen sitzen Matthew und seine zwei Freunde vor dem Pub Penn Quarter an der Ecke Indiana Avenue und Pennsylvania Avenue. Die drei Studenten sind extra aus New York angereist, um die Angelobung Joe Bidens als 46. Präsident der Vereinigten Staaten zu feiern. Die jungen Männer, ausgerüstet mit zwei Black-Lives-Matter-Fahnen, machen kein Hehl daraus, dass sie den Tag, an dem Donald Trump das Weiße Haus zum letzten Mal verlässt, kaum erwarten konnten. „Ein großer Moment für unser Land“, findet Matthew. „Aber dass hier alles völlig ausgestorben ist, damit hätte ich nicht gerechnet. Es ist so gespenstisch still.“

Ein zweieinhalb Meter hoher, schwarzer Zaun ragt hinter den drei Biden-Fans in die Höhe. Von der National Mall, wo sich bei der Angelobung im Normalfall Zehntausende Menschen drängen, sind sie 200 Meter entfernt – und näher werden sie an das Geschehen vor dem Kapitol an diesem sonnigen Wintertag in Washington auch nicht herankommen. „Zumindest einen Blick auf Biden hätte ich schon gern ergattert“, sagt Matthew, während er an seinem schwarzen Kaffee schlürft.

Ein frommer Wunsch. Für Normalsterbliche ist das Zentrum der US-Hauptstadt abgeriegelt. Abgesehen von einer Schar an Soldaten der Nationalgarde sollte Matthew nicht viel zu sehen bekommen.
Diese Angelobung ist wie keine andere. Schon vor dem Sturm auf das Kapitol vom 6. Jänner bereiteten die Behörden ein Fest in kleinerem Rahmen vor. Bewusst wurde der Bevölkerung geraten, wegen des Coronavirus auf die Reise nach Washington zu verzichten. Vor vier Jahren rund um die Angelobung Trumps tobte noch ein heftiger Streit darüber, wie viele Menschen denn nun tatsächlich kamen. Von der „bisher größten Menschenmenge“ sprach das Kommunikationsteam Trumps, auch wenn TV-Bilder anderes zeigten. Der Terminus „alternative Fakten“ war geboren, der Startschuss für einen vierjährigen Kampf um die Wahrheit zwischen Journalisten und Weißem Haus gefallen.

Ein Fahnenwald statt Menschen

Heuer sollten keine Menschen, sondern 191.500 US-Fahnen den Grünstreifen zwischen Kapitol und Lincoln Memorial zieren. Rund um das Wasserbecken vor dem Memorial waren tags zuvor 400 Lichtskulpturen aufgestellt, eine für jeweils tausend Menschen, die in den USA dem Coronavirus zum Opfer gefallen sind. „Wir müssen uns immer daran erinnern, nur so können wir wieder heilen“, sagte Biden am Vorabend der Inauguration. Heilung und Vereinigung eines gespaltenen Landes sollte dann auch der Tenor der Angelobung am Mittwoch um zwölf Uhr Ortszeit sein. Nach dem Angriff auf das Zentrum der US-Demokratie von vor zwei Wochen ist die amerikanische Seele verwundet. Vielleicht war es passend, dass die Angelobung diesmal nicht als großes Fest, sondern als getrübte Feier in kleinem Rahmen über die Bühne ging.

Als leise und getrübt lässt sich die Stimmung in Washington auch am Tag der Inauguration beschreiben. Mehr als 25.000 Nationalgardisten riegelten die großflächige Sperrzone rund um das Kapitol und das Weiße Haus ab. Wo sich sonst tausende Touristen tummeln, herrschte Stille. Ob vor dem Sitz des FBI an der 10th Street oder nahe des Internationalen Währungsfonds an der 19th Street: die Straßen waren menschenleer, der Verkehr weiträumig umgeleitet, zahlreiche Metro-Stationen gesperrt, hunderte Checkpoints eingerichtet. Einzig die Präsenz von Secret Service, Polizei, Soldaten und Nationalgardisten stach zum Zeitpunkt von Bidens Angelobung ins Auge.

Abschreckung lautete das Motto, damit Anhänger des scheidenden Präsidenten erst gar nicht auf die Idee kommen würden, neuerlich gewalttätige Proteste zu organisieren. Genau davor hatten die Geheimdienste im Vorfeld gewarnt, nicht nur für Washington, sondern für alle 50 Hauptstädte der Bundesstaaten. Groß war die Angst vor den Verschwörungstheoretikern von QAnon und den Rassisten der Proud Boys. Letztlich blieb es still und leise in Washington. Einzig eine kleine Gruppe von Abtreibungsgegnern positionierte sich mit Fahnen und Informationsfoldern beim Farragut Square an der K Street.

Ab und zu fragten manche die Nationalgardisten, wie sie zur National Mall kommen würden. „Gar nicht”, erwiderten sie freundlich, aber bestimmt. Die Bilder von vor zwei Wochen sollten sich nicht wiederholen, und alles war angerichtet für die Angelobung des 78-jährigen Karrierepolitikers, die ohne Probleme über die Bühne gehen konnte.
Immerhin, auch Trump leistete zumindest seinen Beitrag zur Beruhigung der Gemüter an diesem historischen Tag in Washington. Zum letzten Mal hatte der 45. Präsident am Mittwochmorgen das Weiße Haus verlassen, um mit dem Marine One-Helikopter in Richtung Militärflughafen Andrews aufzubrechen. Bevor er die Air Force One Richtung Florida bestieg, wünschte er der neuen Regierung viel Erfolg – freilich ohne Biden beim Namen zu nennen und ohne seine Niederlage einzugestehen. Der Angelobung blieb Trump fern, erstmals seit 1869 verzichtete der scheidende Präsident damit auf diesen symbolischen Akt.

Ein wenig Aufbruchstimmung

Trotzdem ist auch ein wenig Aufbruchstimmung zu spüren. „Es ist jetzt endlich Zeit für einen Neustart, wir sollten die Vergangenheit hinter uns lassen”, meint Matthew. Freilich wird dieser Vorsatz in den nächsten Wochen getestet werden. Im Senat steht der Prozess um die Amtsenthebung Trumps an, und am Tag des Abschieds sollte der abgewählte Präsident auch gleich betonen, dass er „in irgendeiner Form wieder zurückkehren” werde. Ob es dazu kommt, wird auch vom Ausgang seines Amtsenthebungsverfahren abhängen.

Am Kapitol hat der neue Präsident inzwischen die Bühne betreten. Zuvor hatten Lady Gaga mit der Nationalhymne und Jennifer Lopez mit der heimlichen Hymne, „This Land is your Land“, die Zuschauer auf die Zeremonie eingestimmt. Vor dem Chef des Supreme Courts, John Roberts, legt er den Amtseid ab. In den Straßen der Hauptstadt bleibt der große Jubel aus. Möglicherweise ist auch das ein Bild mit Symbolcharakter: Es kehrt wieder Ruhe ein in Washington.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2021)

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