Fleischkonsum

Der Hunger nach Fleisch und seine weltweiten Folgen

Es geht um die Wurst: Eine italienische Händlerin präsentiert Salami auf einer Lebensmittelmesse in Berlin. Die Nachfrage nach Fleisch und Fleischprodukten wird weltweit weiter steigen.
Es geht um die Wurst: Eine italienische Händlerin präsentiert Salami auf einer Lebensmittelmesse in Berlin. Die Nachfrage nach Fleisch und Fleischprodukten wird weltweit weiter steigen.REUTERS
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Während West- und Mitteleuropäer vermehrt auf Fleischkonsum verzichten, bekommen Menschen in anderen Regionen richtig Appetit darauf. Der Markt verändert sich, auch wegen Klimakrise und wachsender Bevölkerung: Über Produktion, Hürden und wie die Zukunft der Proteinzufuhr aussehen könnte.

Wenn an einer Supermarktkasse in Österreich Fleisch über den Strichcodeleser gezogen wird, dann ist das meistens eine Plastikschale gefüllt mit Geflügel – oder mit Faschiertem. Aus Sicht von Experten hat das zwei Gründe: Einerseits kann man mit den beiden Fleischarten schnelle, einfache Gerichte zu Hause zubereiten. Andererseits fehlt vielen Menschen schlicht das Wissen, was man mit anderen Fleischteilen machen könnte.

Dieser Umstand steht beispielhaft für das, was Fleisch im westlichen Europa heutzutage erfüllen muss. Schnelle Küche, feine Stücke. Der Konsument kauft hier vor allem mageres Koch- und Bratfleisch, und das vermehrt gern in Bio-Qualität; viel von dem, was bei einer Schlachtung anfällt, wird in europäischen Ländern nicht gebraucht. Das Tier wird reduziert auf das, was man hier Gustostückerln nennt. Der Rest wird andernorts verkauft: China etwa nimmt die österreichischen Restln, möchte man sagen, mit Handkuss.

Für die Fleischindustrie sind diese Trends auf dem westlichen Markt eine Herausforderung. Denn er verändert sich. Statt zu wachsen, stagniert er, was dem Leiter der Abteilung Marktpolitik der Landwirtschaftskammer Österreich, Adolf Marksteiner, zufolge auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist: Die „Heavy User“, wie er sie nennt, aus der Nachkriegsgeneration werden weniger. Jüngere Menschen essen tendenziell weniger Fleisch. Die Essensgewohnheiten ändern sich – es wird mehr außer Haus gegessen (was freilich auf Pandemiezeiten nicht zutrifft), die Produktpalette wird vielfältiger. Themen wie Ethik, Tierwohl, Herkunft und Regionalität spielen eine immer größere Rolle im Konsumverhalten.

Die Masse macht's. Die Sehnsucht vieler speziell West- und Mitteleuropäer nach mehr Qualität steht dagegen alles andere als im Einklang mit dem Industriegrundsatz: so wenig Ressourcen wie möglich für so viel Ertrag wie geht. Während hierzulande darüber debattiert wird, ob und wie man Fleisch und seine Herkunft auch in der Gastronomie kennzeichnen soll, sind andernorts der Fleischproduktion nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Marksteiner spricht über riesige Geflügelfarmen in Osteuropa, deren Fleisch, für Konsumenten unerkannt, in österreichischen Großküchen landet. Stichwort Chlorhendl: Die Welt liegt bei der Fleischproduktion Welten auseinander.

Und dann war ja da auch noch Corona. Die Verbreitung des Virus, das von einem Wildtiermarkt in China stammen soll, hat ein Schlaglicht auf die Zusammenhänge zwischen Tierhaltung, -Produkten und der menschlichen Gesundheit geworfen; in China hat das nicht nur zu einem Verbot der Wildtierhaltung geführt, sondern auch einen Ernährungswandel weg vom Fleisch eingeleitet (siehe Artikel rechts).

Der durchschnittliche Österreicher aß 2019 etwas mehr als 60 Kilogramm Fleisch. Die Zahl ist seit Jahren leicht rückläufig. Der durchschnittliche Deutsche aß etwas weniger, auch dort nimmt der Wert ab. Weltweit nimmt der Fleischkonsum dagegen seit Jahrzehnten insgesamt zu. Fleisch wird als Wohlstandszeichen gesehen. Je reicher die Welt, desto mehr Fleisch wird gegessen, könnte man sagen.

Seit den 1960er-Jahren hat sich beispielsweise in Brasilien der Fleischkonsum pro Kopf bis 2017 vervierfacht, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zufolge auf knapp 100 Kilogramm im Jahr; in Russland wurden 2017 pro Jahr und Kopf rund 75 Kilogramm Fleisch gegessen, 2000 waren es rund 40 Kilogramm. Und dann ist da China, wo sich der Fleischkonsum von 1961 bis 2017 der FAO zufolge verfünfzehnfacht hat – auf rund 60 Kilogramm pro Kopf. Die größten Fleischesser bleiben die US-Amerikaner und Australier mit rund 120 Kilogramm pro Kopf (siehe Grafik).

Bei der Fleischproduktion hat China hingegen in den vergangenen 30 Jahren alle überholt. Rund 88 Millionen Tonnen Fleisch brachte das asiatische Land 2018 auf die Waage. 1990 waren China und die USA mit rund 30 Millionen Tonnen Fleisch noch gleichauf gelegen; die USA produzierten 2018 rund 45 Millionen Tonnen.

Die brasilianischen Fleischproduzenten überholten den Zahlen der FAO zufolge 2003 die westeuropäischen; Brasilien – der weltweit größte Produzent und Exporteur von Rindfleisch – stellt heute rund 30 Millionen Tonnen her, West-/Mitteleuropa rund 20 Millionen Tonnen.



Der Siegeszug des Hendls. Und der globale Hunger nach Fleisch wächst weiter. Mit insgesamt 325 Millionen Tonnen hat die Welt 2019 zwar etwas weniger produziert als in den Jahren zuvor; das war vor allem der Afrikanischen Schweinepest geschuldet. Auch für 2020 erwartet die FAO einen „Tiefpunkt“. In ihrem Ausblick bis 2029 geht die Organisation aber davon aus, dass bis dahin global 40 Millionen Tonnen mehr Fleisch pro Jahr produziert werden als heute – aufgrund der steigenden Nachfrage aus den Entwicklungsländern. Und Subsahara-Afrika mit seinen explodierenden Bevölkerungszahlen ist in dieser Hinsicht noch ein fast weißer Fleck auf der Landkarte.

Hauptmotor des Wachstums: Geflügel. Weltweit wird das „weiße“ Fleisch immer beliebter. Innerhalb der OECD etwa, dem Zusammenschluss der 30 reichsten Länder, ist die Nachfrage nach Rind und Schwein seit 1990 etwa gleich geblieben; der Verzehr von Hühnerfleisch zeigt dagegen ein sattes Plus von 70 Prozent. Das Geschäft ist nicht nur sehr profitabel – das Hendl hat auch den Ruf, gesund und vergleichsweise gut für die Umwelt zu sein.

Und mit steigendem Bewusstsein für die Folgen der Umweltzerstörung ist auch die Fleischindustrie unter Druck geraten, vor allem die Rinderzucht. Der Bedarf nach neuen Weiden und Anbauflächen für Tierfutter gilt als Hauptgrund für die Abholzung des Amazonas-Regenwalds in Brasilien. Zudem tragen Kühe mit ihren Methan-Rülpsern zum Klimawandel bei.

Kein Wunder also, dass sich auch die Industrie nach Alternativen umsieht. Pflanzlichen Ersatzprodukten, Laborfleisch und Insekten wird bereits eine große Zukunft prophezeit. Selbst der brasilianische Riese JBS, der weltgrößte Fleischkonzern, hat 2019 eine pflanzliche Produktlinie auf den Markt gebracht, die auf Erbsen, Reis und Pilzen beruht. Argument des Unternehmens: Nur so sei es möglich, die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten nachhaltig zu ernähren.

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Zahlen

Millionen Tonnen Fleisch wurden laut der Welternährungs-Organisation FAO 2019 weltweit produziert. Ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2018, hauptsächlich wegen der Afrikanischen Schweinepest. Auch für 2020 wird pandemiebedingt ein Rückgang prognostiziert. Generell hat sich die Fleischproduktion seit 1961 vervierfacht.

Kilogramm Fleisch hat jeder Österreicher 2019 im Schnitt verbraucht. Schwein, Rind und Kalb werden indes deutlich weniger gegessen als noch 1995 (Gesamt-Fleischkonsum damals: 65,4 kg pro Kopf), Geflügel deutlich mehr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2021)

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