Der Prozess gegen Jörg Kachelmann wurde nach zwei Minuten vertagt. Was nicht zu vertagen war: die Show, die sich vor dem Mannheimer Gericht abspielte. Oliver Pocher erschien als Kachelmann vor dem Gericht.
Der Montag war in Deutschland ein großer Prozesstag. Während in München das Strafverfahren gegen die zwei jungen Männer mit Schuldsprüchen und satten Haftstrafen (zehn und sieben Jahre) zu Ende ging, die im Vorjahr den Manager Dominik Brunner zu Tode geprügelt hatten (siehe Bericht Seite 7), sollte am Landgericht Mannheim eigentlich ein anderer Prozess beginnen. Doch die erste Verhandlung im Strafverfahren gegen Wetterunternehmer Jörg Kachelmann war kurz nach ihrer Eröffnung schon wieder vorbei.
Die Anwälte des 52-jährigen, groß gewachsenen Schweizers Jörg Kachelmann, der sich wegen des Vorwurfs der schweren Vergewaltigung und gefährlichen Körperverletzung verantworten muss, hatten einen 67-seitigen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Michael Seidling und die Richterin Daniela Bültmann eingebracht. Zur Begründung der Prozessunterbrechung sagte Kachelmanns Verteidiger Reinhard Birkenstock: „Herr Kachelmann hat den Befangenheitsantrag gestellt, weil die Sorge besteht, dass die beiden abgestellten Richterpersönlichkeiten ihm nicht mit der nötigen Unvoreingenommenheit gegenüberstehen.“ Den Grund für die Befangenheitsbefürchtungen wolle man aus Rücksicht auf die Richter nicht öffentlich machen. Allerdings hatte etwa die „Bild“-Zeitung im Vorfeld spekuliert, dass Richter Seidling mit dem Vater des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfer bekannt sei.
Die Verhandlung wurde vertagt. Am 13. September wird das Verfahren fortgesetzt. Insgesamt 25 Zeugen sollen an 15 Verhandlungstagen vernommen werden.
Während jene 87 Medienvertreter, die eine Akkreditierung für den Sitzungssaal1 des Mannheimer Landgerichts bekommen hatten, dort nicht sehr viel Spannendes zu sehen bekamen, gab es vor Gericht umso mehr zu sehen. In den vergangenen Tagen und Wochen hatte sich abgezeichnet, wie hoch das Medieninteresse an dem Prozess gegen Kachelmann, der insgesamt knapp vier Monate in Untersuchungshaft saß, werden würde. Mit einer derartigen Show, wie sie sich Montagmorgen vor Gericht abspielte, hatten aber nur die wenigsten gerechnet. Schuld daran war vor allem der deutsche Comedian Oliver Pocher. In einem schwarzen Van erschien der Berufsblödler in Lederjacke, mit kinnlangen Haaren und Dreitagebart als falscher Angeklagter. Sein „Anwalt“ glich Kachelmanns Anwalt Birkenstock bis zur runden Nickelbrille. Im Schlepptau hatte Pocher eine Gruppe junger Frauen namens „Lausemädchen“. Eine Anspielung an den Kosenamen, die der echte Kachelmann einer seiner Geliebten gab.
Viel Klamauk also rund um eine ernste Sache. Klamauk, den die Verlegerin und Frauenrechtlerin Alice Schwarzer sicher nicht begrüßte. Sie ist Gerichtsbeobachterin für die „Bild“-Zeitung und ihr eigenes Magazin „Emma“. Aber auch die Journalistin genoss sichtlich die Aufregung rund um den Prozess und ihre Person.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2010)