Wort der Woche

Vegan ist angekommen

Die vegane Ernährungsweise kommt in der Mitte der Gesellschaft an – vor allem bei jungen Menschen. Die Nutztierhaltung wird aber dennoch nicht verschwinden.

Im neuen „Guide Michelin“ wurde mit dem Ona in Arès (bei Bordeaux) erstmals ein Stern an ein veganes Restaurant vergeben. Das zeigt, dass die vegane Ernährung – eine Lebensweise, die völlig auf tierische Produkte verzichtet – in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Zwar ernährt sich derzeit nur rund ein Prozent der Bevölkerung tatsächlich vegan (und rund neun Prozent sind Vegetarier, die ohne Fleisch, aber mit Milchprodukten, Fisch und Eiern leben). Doch es herrscht eine immense Dynamik, vor allem unter jungen Menschen, wie aus einer Umfrage hervorgeht, die diese Woche im „Fleischatlas 2021“ der Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht wurde.

Unter den befragten 1227 Deutschen zwischen 15 und 29 Jahren lag der Anteil der Veganer mehr als doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung – 70 Prozent davon sind Frauen. Und von denen, die Fleisch essen, wollen 44 Prozent den Konsum reduzieren. Klar wurde in der Umfrage auch, dass das Essverhalten hochpolitisch ist: Veganer und Vegetarier sehen sich mehrheitlich als Teil der Klimaschutzbewegung. Praktisch alle Veganer wollen die Nutztierhaltung völlig abschaffen, aber auch 49 Prozent der Vegetarier sind dieser Ansicht.

Gegen Fleischkonsum gibt es im Wesentlichen zwei Argumente: zum einen Tierschutz, zum anderen Umwelt- bzw. Klimaschutz. Während Ersteres eine ethische Grundhaltung darstellt, kann man über Zweiteres diskutieren. Unbestritten ist zwar, dass die Fleischproduktion für rund ein Zehntel des Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich ist und dass sich die Emissionen aus dem Lebensmittelsektor durch vegetarische Lebensweise um die Hälfte, durch vegane sogar um zwei Drittel senken ließen.

Doch man sollte das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Der Schweizer Bio-Vordenker Urs Niggli merkt in seinem neuen – großartigen – Buch „Alle satt?“ (160 S., Residenz, 19 Euro) an, dass Wiederkäuer (Rinder, Schafe) einen wichtigen Beitrag zu Welternährung und Umweltschutz leisten: Ihr riesiger Magen („ein wunderbarer Bioreaktor“) veredle für den Menschen unverdauliches Gras zu wertvollen Lebensmitteln. Überdies könnten durch Beweidung Böden auf umweltschonende Weise genutzt werden, auf denen Ackerbau nicht oder nur mit hohem Aufwand an Technik und Chemie möglich ist. Das wiederum macht die Umwandlung von ökologisch wertvollem Grünland zu Äckern unnötig.

Und noch ein zweites Argument sollte nicht außer Acht gelassen werden: Biologische Landwirtschaft ist ohne Düngung durch die Exkremente von Nutztieren undenkbar. Ein etwaiges Idealbild eines „veganen Bio-Betriebs“ ist daher Unsinn. ⫻


Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

diepresse.com/wortderwoche

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2021)

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