Rede zur Lage der Union: Barrosos Rettungsversuch

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Der EU-Kommissionschef kündigt eine "Modernisierung der Marktwirtschaft" an. Barroso kämpft seit Monaten damit, dass ihm immer mehr Europapolitiker mangelndes Durchsetzungsvermögen vorwerfen.

José Manuel Barroso weiß, dass seine Stunde geschlagen hat. Nach Monaten, in denen er während der bisher schwersten Wirtschaftskrise der Europäischen Union kaum in Erscheinung getreten war, schien es für den Kommissionspräsident höchste Zeit, sich mit einem starken Auftritt zurückzumelden. Deshalb kündigte er eine „Rede zur Lage der Union“ im EU-Parlament an. Sie sollte alle wachrütteln. Und damit auch wirklich alle die Bedeutung der Rede würdigen können, gab sein konservativer Parteifreund und Parlamentspräsident Jerzy Buzek sogar eine Anwesenheitspflicht für alle EU-Abgeordnete aus.

Am Dienstag war es so weit: Barroso kündigte vor einem vollen Plenarsaal die „Modernisierung der Marktwirtschaft“ an. „Das ist die Stunde der Wahrheit für Europa“, sagte er. Doch als konkrete Schritte nannte er dann vor allem altbekannte Pläne zur Regulierung des Finanzsektors: ein Verbot für missbräuchliche, ungedeckte Leerverkäufe, strenge Regeln für Credit Default Swaps (CDS) und Derivate. Er kündigte am selben Tag, wie dies die 27 Finanzminister bereits beschlossen haben, eine frühzeitige Überwachung der nationalen Budgetdefizite an. Und Barroso wies darauf hin, dass „makroökonomische Schieflagen im Euroraum“ bereinigt werden müssten. Die EU-Kommission werde neue Vorschläge machen. Die EU-Kommission werde wieder die Initiative ergreifen, versprach er, ohne freilich konkret zu werden.

Barroso kämpft seit Monaten damit, dass ihm immer mehr Europapolitiker mangelndes Durchsetzungsvermögen vorwerfen. Der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, Martin Schulz, kritisierte ihn deshalb auch am gestrigen Dienstag wegen seiner Scheu vor jeder Konfrontation mit großen Mitgliedstaaten: „Wir wissen, dass Sie den Konsens suchen, aber wo ist Ihre Attacke?“

Tatsächlich vermied es Barroso erneut, Frankreich offen für seine Roma-Massenabschiebung zu kritisieren, obwohl damit klar EU-Recht verletzt wurde. „Ich will über dieses heikle Thema keine Konfliktdebatte“, verteidigte er sich im Europaparlament. „Barroso sagt, dies sei die Stunde der Wahrheit für Europa“, erinnerte die grüne EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek. „Er sagt, die EU müsse beweisen, dass sie mehr als 27 nationale Lösungen bereitstellen kann. Das Gleiche gilt aber auch für den EU-Kommissionspräsidenten, der eindeutig zeigen muss, dass er nicht willens ist, einen Unterschied zwischen Europäerinnen und Europäern dieser oder jener Volksgruppe hinzunehmen.“

Selbst in seiner eigenen Behörde wächst die Ungeduld mit dem oft zögerlichen Portugiesen. „Wir haben eigentlich erwartet, dass er in seiner zweiten Amtsperiode mutiger auftritt“, so ein hoher Brüsseler EU-Beamter. Oft versuche Barroso seine Kommissare davon abzuhalten, eine notwendige Konfrontation mit einzelnen Regierungen auszutragen. Durch dieses Unvermögen sei er auch gegenüber dem neuen Ratspräsidenten Herman van Rompuy ins Hintertreffen geraten. Die gesamte EU-Kommission verliere gegenüber anderen EU-Institutionen an Einfluss.

Barroso will EU-Anleihen auflegen

Einen Versuch startete Barroso dennoch, seinen Einflussbereich auszuweiten. Er forderte am Dienstag das Auflegen von EU-Anleihen. Mithilfe dieses zusätzlichen Geldes will die EU-Kommission große Infrastrukturprojekte fördern. Die Anleihen sollten beispielsweise den Ausbau der transeuropäischen Energienetze finanzieren. „Wenn wir Gelder auf EU-Ebene konzentrieren, können die Mitgliedstaaten dieses einsparen“, argumentierte Barroso. Einige EU-Mitgliedstaaten – allen voran Deutschland – wollen jedoch keine zusätzlichen Finanzmittel von Brüssel verwalten lassen. Und schon gar nicht wollen sie, dass Brüssel selbst Geld aufnimmt. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schlägt Barrosos Wunsch deshalb aus. Er bezeichnete EU-Anleihen als „etwas, womit man das, was man jetzt machen muss, nicht befördert, sondern beschädigt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2010)

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