Impfstoffe

Krisengespräch mit AstraZeneca brachte keine Lösung

Die EU hat einen Rahmenvertrag über insgesamt 400 Millionen Impfdosen von AstraZeneca, doch die Auslieferung zieht sich. Das Unternehmen sieht bei sich keine Schuld.

Die Europäische Union und der Pharmakonzern Astrazeneca streiten auf offener Bühne um Corona-Impfstoff. EU-Kommissarin Stella Kyriakides appellierte am Mittwoch an die moralische Verantwortung der Firma - die sich ihrerseits gegen Vorwürfe verwahrte. Auch ein Online-Krisengespräch am Abend brachte keine Lösung. Große Mengen Impfstoff für die EU-Länder werden somit wohl Wochen oder Monate später kommen.

„Wir bedauern, dass es immer noch keine Klarheit über den Lieferplan gibt und erbitten uns von Astrazeneca einen klaren Plan zur schnellen Lieferung der Impfstoffe, die wir für das erste Quartal reserviert haben", erklärte Gesundheitskommissarin Kyriakides am Mittwochabend nach dem Krisentreffen mit Astrazeneca auf Twitter. „Wir werden mit dem Unternehmen zusammenarbeiten, um Lösungen zu finden und die Impfstoffe rasch für die EU-Bürger zu liefern." Sie lobte aber den konstruktiven Ton des Gesprächs mit Unternehmenschef Pascal Soriot, der sich persönlich zugeschaltet habe.

Astrazeneca teilte mit, es habe ein „konstruktives und offenes Gespräch" über die Komplexität der Erhöhung bei der Impfstoff-Produktion und die Schwierigkeiten stattgefunden. Das Unternehmen habe eine noch engere Zusammenarbeit zugesagt, „um gemeinsam einen Weg für die Auslieferung unseres Impfstoffs in den kommenden Monaten aufzuzeichnen".

31 statt 80 Millionen Impfdosen

Der Streit begann am Freitag mit der Ankündigung des britisch-schwedischen Herstellers, nach der für diese Woche erwarteten Zulassung des Impfstoffs weit weniger an die EU zu liefern als zugesagt. Von EU-Politikern wurden Zahlen genannt: Statt erwarteter 80 Millionen Impfdosen im ersten Quartal kämen nur 31 Millionen. Am Mittwoch deutete eine EU-Vertreterin an, dass die Dimension noch größer ist. Erwartet worden sei eine "dreistellige Zahl", und geliefert werde davon nur ein Viertel.

Seit Tagen setzen die EU-Kommission und die 27 EU-Staaten das Unternehmen deshalb unter Druck. Die EU hat einen Rahmenvertrag über insgesamt 400 Millionen Impfdosen von Astrazeneca. Damit das Mittel schon bei Zulassung geliefert werden kann, wurden der Firma 336 Millionen Euro zur Aufstockung der Produktion zugesagt. Nach EU-Lesart hätte sie auf Halde produzieren müssen. Nun fragt die EU: Wo ist der Impfstoff? Bei dem Treffen am Mittwochabend sei die Frage auch nicht schlüssig beantwortet worden, hieß es aus Kommissionskreisen.

Astrazeneca-Chef Soriot hatte sich am Mittwoch unter anderem in einem Interview der „Welt" geäußert - allerdings nicht zur Zufriedenheit der EU. Einige von Soriots Argumenten: Die EU habe ihren Vertrag später abgeschlossen als Großbritannien, wo das Astrazeneca-Mittel bereits genutzt wird. In der EU werde der Impfstoff in Belgien und den Niederlanden produziert. Und ausgerechnet dort sei in einer Anlage der Ertrag sehr niedrig. „Das machen wir ja nicht mit Absicht!" Sein Team arbeite rund um die Uhr, um die Probleme zu lösen.

Zudem sagte Soriot, sein Unternehmen sei vertraglich nicht zur Lieferung bestimmter Mengen verpflichtet. Vielmehr habe man nur einen „best effort" zugesagt, sich also im besten Sinne zu bemühen. In zwei bis drei Monaten sei das Problem zu lösen, sagte der Manager voraus.

„ ... nach Bevölkerungszahl verteilt“.

Und zu den konkreten Mengen: „Sobald wir in den nächsten Tagen die Zulassung erhalten, liefern wir drei Millionen Dosen. Dann jede Woche mehr, bis wir bei 17 Millionen sind. Die werden nach Bevölkerungszahl verteilt, für Deutschland mithin ungefähr drei Millionen in einem Monat." Das sei "gar nicht so schlecht". Insgesamt werde die EU fair behandelt.

Das alles wiederum empörte die EU-Seite. Es gebe einen Vertrag mit festen Lieferplänen je Quartal, und „best effort" heiße nicht, dass keine Verpflichtung bestehe, hielt Gesundheitskommissarin Kyriakides entgegen. Im Vertrag sind nach EU-Angaben konkret vier Fabriken genannt, zwei davon in Großbritannien. Auch diese müssten für den EU-Auftrag eingesetzt werden, ergo soll Impfstoff von Großbritannien auf den Kontinent.

Dass die EU ihren Vertrag später abgeschlossen habe, spiele ebenfalls keine Rolle. „Wir weisen die Logik des 'Wer zuerst kommt, mahlt zuerst' zurück", sagte Kyriakides. "Das gilt vielleicht beim Metzger um die Ecke, aber nicht bei Verträgen."

EU-Kommission steht in der Kritik

Der britische Premierminister Boris Johnson will sich auf diese Debatte nicht einlassen. Es handle sich um eine Angelegenheit zwischen der EU und Astrazeneca, sagte Johnson am Mittwochabend in London und fügte hinzu: „Wir sind sehr zuversichtlich, was unseren Nachschub und unsere Verträge betrifft."

Die EU-Kommission steht selbst in der Kritik, weil Impfstoff in der EU knapp ist und bisher prozentual weit weniger Menschen immunisiert wurden als etwa in Großbritannien oder Israel. Das liegt zum Teil daran, dass die Mittel in der EU eine Marktzulassung statt nur eine Notfallzulassung bekommen sollen - und das dauert länger. So hat die Impfkampagne später begonnen.

In der EU zugelassen sind derzeit Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna. Auch Biontech/Pfizer hatte zwischenzeitlich Produktionsprobleme, aber wohl nur kurzfristig. Astrazeneca wäre der dritte Hersteller mit EU-Zulassung. Die großen bestellten Mengen sollten die Impfkampagne in Fahrt bringen. Doch gibt es auch Fragezeichen, ob das Vakzin für ältere Menschen freigegeben wird. Experten der EU-Arzneimittelagentur EMA wollen sich am Freitag dazu äußern.

(APA/dpa)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

AstraZeneca hat Probleme bei der Produktion des Covid-Impfstoffs.
Unternehmensporträt

AstraZeneca: Der Pharmariese, dem man nicht vertraut

Pharmakonzerne galten für viele als Symbol des hartherzigen Kapitalismus. Ihr Profit basiert auf Leid. Die rasche Entwicklung des Corona-Impfstoffs hätte das Image verbessern können. Der Konflikt zwischen EU und AstraZeneca schürt wieder alte Ressentiments.
Der Pfizer/Biontech-Impfstoff ist einer von zwei in der EU zugelassenen Impfstoffen (neben jenem von Moderna).
Corona-Impfstoff

Biontech kann womöglich mehr Impfdosen an die EU liefern

Finanzvorstand Poetting sagt in einem Interview, die Liefermengen im ersten Quartal könnten höher ausfallen. Vorläufige Studien zeigen, dass der Pfizer/Biontech-Impfstoff auch gegen die südafrikanische und britische Mutation wirksam ist.
Mitarbeiter vor dem Steve Biko Academic Hospital in der südafrikanischen Metropole Pretoria.
Coronavirus

Biontech-Impfstoff bei Südafrika-Mutation etwas weniger effektiv

Pfizer und Biontech sagen, ihr Impfstoff schützt auch gegen die britische und die südafrikanische Mutation des Coronavirus. Gegen letztere dürfte das Vakzin aber weniger gut wirken.
TOPSHOT-SERBIA-HEALTH-VIRUS-VACCINE
Europa

EU droht AstraZeneca: „Britischer Impfstoff ist Teil unseres Vertrags“

Brüssel fordert, dass der säumige Pharmakonzern in Großbritannien hergestellte Vakzine nach Europa liefert. Ein Konflikt mit London wäre damit programmiert.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.