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Tourismus der Erschütterung oder Sensationsgeilheit?

Dark. Als wären die Katastrophen nicht groß genug, ziehen die Schauplätze auch noch nach Jahren Neugierige und Touristen an. Hier: im Sperrgebiet von Fukushima.
Dark. Als wären die Katastrophen nicht groß genug, ziehen die Schauplätze auch noch nach Jahren Neugierige und Touristen an. Hier: im Sperrgebiet von Fukushima.(c) REUTERS (Damir Sagolj)
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Sind wir alle ein bisschen Dark Tourists?

Einige Reisende wollen sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, andere lieben All-Inclusive-Clubs, bei wieder anderen schlägt das Herz in Eremitage oder Staatsoper höher. Doch nicht erst seit der Netflix-Dokuserie "Dark Tourist", die den Neuseeländer David Farrier in düstere Destinationen und Situationen bringt, gehören Nervenkitzel-Orte zum Reisen. London Dungeon oder Kolosseum lässt Farrier beiseite, sein Interesse gilt dem zeitgenössischen Horror. Er sucht das Viertel des Mörders Pablo Escobar in Medellín auf, spaziert durch den japanischen Selbstmordwald Aokigahara oder erforscht das Sperrgebiet in Fukushima.

Nicht nur Schauerlust oder Sensationsgier zieht Dark Tourists magnetisch zu Schauplätzen von Verbrechen oder Tragödien laut ihrer Philosophie führt die Auseinandersetzung mit problematischen Orten zu einem tieferen Verständnis der Welt, zu einer Sensitivität für historische Zusammenhänge, wie sie etwa ein Besuch in Auschwitz ebenso eröffnen kann wie ein Abstecher zu den Killing Fields in Kambodscha. Die Urmutter des Tourismus der Erschütterung bleibt gewiss Pompeji. Den Vulkanausbruch im Jahr 79, der Bewohner und Tiere unter einer meterhohen Ascheschicht begrub, halten Knochenüberbau-Skulpturen in Menschenform, entstanden aus den vor der Lava Flüchtenden, bis heute fest.

Lebendig oder tot macht allerdings einen Unterschied. Gelegentlich wurden mir Touren durch Slums angeboten aus Reportersicht verführerisch, trotzdem lehnte ich ab. Für mich wird da eine Grenze überschritten. Man besichtigt nicht, im Schutz einer braven Gruppe mit Guide, einkommensschwache Menschen wie im Zoo. Wer sich allein in kein Armenviertel traut, soll einfach draußen bleiben. Für solche Personen gibt es Spendenkonten von NGOs und im Weiteren Dutzende harmlose Kulturdenkmäler. Die verantwortungsvolle Spielart des Dark Tourism wurzelt fest auf dem Boden des Historischen. Ihre Puristen predigen sogar einen Handykamera verzicht. Ohne Smartphone als Schutz zwischen dem eigenen Ich und der Welt würden Besucher den immanenten Geist erschütternder Orte intensiver erleben.

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