Glaubensfrage

Not lehrt beten. Heißt es. Stimmt diese „Volksweisheit“?

Eine Studie bestätigt diese Redensart jetzt teilweise. Das muss für das Gottes-Verständnis nicht unbedingt Gutes bedeuten.

Müssten während der Coronapandemie nicht mächtige Gebetstürme zum Himmel steigen? Wenn der Spruch denn stimmen sollte, dass Not beten lehrt. Nun ja. Sogenannte Volksweisheiten zeichnen sich gelegentlich durch einen gewissen Mangel an Weisheit aus.

Harte Zahlen gibt es wenige. Im Corona-Jahr 2020 gab es zwar einen Rückgang an Kirchenaustritten, sie blieben aber im Langzeitvergleich hoch. Die Sakralbauten in Österreich, all die Kirchen, Moscheen, Synagogen, Gebetshäuser, Tempel stehen in diesen Wochen leer. Schon wieder oder noch immer. Zwischen Lockdown brutal und Lockdown sanft verschwimmen die Grenzen. Wie lang noch müssen auch die Religionsgemeinschaften Verzicht üben? Wir wissen es nicht. Dabei ist das gemeinsame Beten essenziell für Religionsgemeinschaften.

Not lehrt beten: Wenn dieser Satz stimmt, hat er dann Bedeutung für das Gottesverständnis und welche? Die Erinnerung an eine prägende Persönlichkeit der katholischen Kirche, einen kürzlich Verstorben, lebt. Die Erinnerung an Erich Leitenberger, Sprecher dreier Kardinäle, legendärer Kathpress-Chef, und an einen dieser Abende mit ihm. Bei vorzüglichem Essen und ebensolchem Wein wurde über die Welt, die Kirche und, ja, auch über Gott gesprochen. Dass Not beten lehre, das war so gar nicht nach Erich Leitenbergers Geschmack. Im Kontrast zu seiner betont zurückhaltenden Art hat er das dezidiert in Abrede gestellt. Wie oft hatte er auch damals recht.

Not lehrt vielleicht bitten. Bitten, die in Richtung eines höheren Wesens, eine höhere Macht gerichtet werden, an das Unbegreifbare, das mit dem Begriff Gott umschrieben wird. Beten und bitten ist nicht dasselbe. Auch wenn Gebete, gerade in deren streng formalisierter, kanonisierter Form, selten ohne Bitten auskommen.

Not lehrt beten? Dahinter könnte die bizarre Vermutung stehen, Gott würde Not über Menschen bringen, um ihnen gleichsam das Beten beizubringen, es ihnen gewissermaßen abzuzwingen. Oder Gott würde als eine Art Automat missverstanden, in den Gebete „eingeworfen“ werden und Wünsche sofort eins zu eins in Erfüllung gehen.

Dennoch: Laut einer soeben veröffentlichten Umfrage des Washingtoner Pew Research Center, ein als konservativ geltender Thinktank, in 14 Ländern (Österreich ist nicht dabei), gibt jeder Zehnte an, der persönliche religiöse Glaube sei durch die Pandemie stärker geworden. Unter US-Amerikanern ist es sogar jeder Dritte.

Die gute Nachricht zum Sonntag: Not lehrt nicht notwendigerweise beten. Aber sie trägt möglicherweise dazu bei, den Werte-Kompass zu kalibrieren und die verschüttete Sehnsucht nach Spiritualität zu entdecken. Ein Anfang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2021)

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