Am Herd

Wie egal ist manchmal die Schule

Symbolbild.
Symbolbild.APA/dpa/Moritz Frankenberg
  • Drucken

Wir müssen so viele Regeln befolgen – schmeißen wir dafür ein paar alte über Bord. Auch wenn das bedeutet, dass die Kinder den Unterricht schwänzen.

Neulich war eine Kollegin glücklich. Gestern, sagte sie, war ein guter Tag. Es gibt nicht viele gute Tage, die Kinder sind mürrisch, matt, sehnen sich nach ihren Freunden, kein Spiel kann sie mehr locken, kein Witz sie erheitern, meine Kollegin hat es in ihrer Verzweiflung sogar schon mit Topfklopfen und Ballon-Tieren versucht, als könnten Partyrituale ein bisschen Farbe in den Lockdown-Alltag bringen. Aber gestern, erzählt sie, da hat es geschneit, dicke Flocken, und sie hat die Kinder am Vormittag hinausgeschickt, zum Rodeln, die beiden sind den Hügel hinaufgetobt und hinuntergerast, sie sind gepurzelt, gestolpert, haben gelacht, und kamen dann – der spärliche, schon wieder schmelzende Schnee hatte sich längst mit Erde vermischt – völlig verdreckt und fröhlich nach Hause.

Eigentlich hätten die beiden zu der Zeit Unterricht gehabt. Eigentlich. Meine Kollegin hat ihren Kindern gesagt, sie sollen schwänzen.

Die Kinder hatten noch nie geschwänzt.

Schularbeiten und Tests. Ach, wie gut kann ich sie verstehen. Ach, wie egal ist manchmal die Schule, sind manchmal die Pflichten. Und so kann es schon sein, dass wir um drei Uhr morgens noch Gelächter aus dem Kinderzimmer hören, Marlene trifft sich mit Freunden auf Discord, mit Luki und Markus und Fabio, sie tauschen Memes aus und amüsieren sich über die Reddit-Truppe, die fast die Wall Street zum Taumeln gebracht hat, sie ziehen einander auf und mögen einander sehr, und sie sind laut, so laut, dass der Lärm bis in unser Schlafzimmer dringt. Und was tun wir? Mein Mann hat neulich angeklopft und Marlene einen „Guten Morgen“ gewünscht.

Kein: „Es ist Schule!“ Kein: „Aber dein Schlafrhythmus.“ Nicht einmal: „Mach nicht so einen Krach.“ Wir sind einfach nur froh, dass sie lacht, und wir hoffen, dass diese Fröhlichkeit den nächsten Tag leichter macht und vielleicht noch den übernächsten und den darauf. Tage, die so eintönig sind zwischen all den Arbeitsaufträgen und Online-Stunden, dass Marlene sich richtig auf die Englisch-Schularbeit gefreut hat: Abwechslung. Und: Endlich nicht mehr allein.

Schnee und Sonne. Ja, man muss die Gelegenheiten nutzen, ein bisschen Schnee, einen Strahl Sonne, ein heiteres Gespräch, ein Treffen mit Freunden am Rande einer Schularbeit, was immer sich bietet, was immer uns guttut, ein zweites Bad, ein drittes Stück Schokolade, ein Spaziergang, wenn noch alles schläft (oder schon wieder). So hangeln wir uns von Tag zu Tag, von Abend zu Abend, von dieser Woche zur nächsten.

Und irgendwann wird es zumindest Frühling werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.