Ausnahmezustand

Putsch in Myanmar: Suu Kyi ist dem Militär zu mächtig geworden

Regierungschefin Aung San Suu Kyi im November.
Regierungschefin Aung San Suu Kyi im November.REUTERS
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De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und andere Politiker wurden vom Militär „festgesetzt“. Sie rufen zu Protesten gegen den Militärputsch auf. Die USA fordern die sofortige Freilassung der Regierungsmitglieder.

In Myanmar hat das Militär nach einem Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung der De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi die Macht ergriffen. Eigenen Angaben zufolge riefen die Streitkräfte am Montag den Notstand aus und erklärten die Machtübergabe an Militärchef Min Aung Hlaing. Der Ausnahmezustand solle für ein Jahr gelten, sagte ein Sprecher des Militärs am Montag.

Suu Kyi und weitere hochrangige Mitglieder der Regierungspartei der Nationalen Liga für Demokratie (NLD) seien "wegen Wahlbetrugs" festgesetzt worden, bestätigte das Militär eine frühere Aussage eines Sprechers der NLD. Dieser hatte das zuvor Volk aufgerufen, Ruhe zu bewahren. "Ich möchte unseren Leuten sagen, dass sie nicht vorschnell reagieren sollen, und ich möchte, dass sie gemäß dem Gesetz handeln", ergänzte der Regierungssprecher. Auch er erwarte, vom Militär inhaftiert zu werden.

Ein Screeshot vom Fernsehsender MRTV, in dem General Min Aung Hlaing nach seiner Ansprache zu sehen ist.
Ein Screeshot vom Fernsehsender MRTV, in dem General Min Aung Hlaing nach seiner Ansprache zu sehen ist.(c) REUTERS

„Ich bitte die Menschen, dies nicht zu akzeptieren"

Stunden später rief Regierungschefin Aung San Suu Kyi zu Protesten gegen den Militärputsch auf. "Die Maßnahmen des Militärs sind Maßnahmen, um das Land zurück in die Diktatur zu führen", heißt es in einer am Montag von der NLD veröffentlichten Stellungnahme. "Ich bitte die Menschen dringend, dies nicht zu akzeptieren und mit ganzem Herzen gegen den Putsch der Militärs zu protestieren." 

Ein Augenzeuge sagte, dass mindestens ein Dutzend Soldaten und mehrere Militärfahrzeuge vor dem Rathaus der Hauptstadt Rangoon Stellung bezogen hätten. Seit den Morgenstunden seien die Telefonleitungen zum Regierungssitz in Naypyitaw unterbrochen, Anwohner berichteten über Ausfälle bei Internetdiensten und Mobilfunk. Der staatliche Fernsehsender MRTV schrieb auf Facebook, dass er wegen technischer Probleme nicht senden könne.

Internationale Kritik

Die EU droht den Verantwortlichen für den Militärputsch mit Konsequenzen. "Wir stehen mit unseren internationalen Partnern (...) in Kontakt, um eine koordinierte Reaktion zu gewährleisten", erklärte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Montag. Die Europäische Union fordere die sofortige Wiederherstellung der legitimen zivilen Regierung und die zügige Eröffnung des Parlaments unter Beteiligung aller gewählten Vertreter.

Schon heute gelten EU-Einreiseverbote und Vermögenssperren für Angehörige der Streitkräfte, die für schwere Menschenrechtsverletzungen gegen die Bevölkerungsgruppe der Rohingya verantwortlich gemacht werden. Zudem ist die Ausfuhr von Gütern nach Myanmar verboten, die für die Unterdrückung der Opposition oder zur Kommunikationsüberwachung genutzt werden können.

Das Außenministerium in Wien zeigte sich ebenfalls besorgt über die Ereignisse in Myanmar. "Wir rufen die Armeeführung auf, sich an das demokratische Prozedere und die Rechtstaatlichkeit zu halten und alle zivil-politischen Vertreter freizulassen", wurde mitgeteilt.

US-Präsident Joe Biden sei über die Verhaftung von Suu Kyi informiert worden, erklärte die Regierung in Washington. "Die Vereinigten Staaten lehnen jeden Versuch ab, das Ergebnis der jüngsten Wahlen (die erst im November des Vorjahres stattfanden, Anm.) zu verändern oder den demokratischen Übergang in Myanmar zu behindern, und werden gegen die Verantwortlichen vorgehen, wenn diese Schritte nicht rückgängig gemacht werden", erklärte das Weiße Haus. US-Außenminister Antony Blinken forderte die sofortige Freilassung der Regierungsmitglieder.

Suu Kyi international nicht mehr unumstritten

Aung San Suu Kyi, die Friedensnobelpreisträgerin von 1991, hatte bei der Parlamentswahl im November mit 83 Prozent der Sitze einen Erdrutschsieg für die NLD erzielt. Die Armee wirft Suu Kyi Wahlbetrug vor. Oberbefehlshaber Min Aung Hlaing hatte bereits vergangene Woche das Militär aufgefordert, die Verfassung aufzuheben, falls sie nicht eingehalten werde. Suu Kyi ist trotz des Wahlsieges auf die Unterstützung der Streitkräfte angewiesen: Die Verfassung garantiert dem Militär ein Viertel der Sitze sowie drei Schlüsselministerien.

Suu Kyis internationales Ansehen ist aber ebenso umstritten: Sie steht unter anderem wegen der staatlichen Diskriminierung der muslimischen Minderheit der Rohingya in der Kritik. Nach einem harten Vorgehen von Myanmars Militär gegen die Rohingya waren 2017 mehr als 730.000 Angehörige der Minderheit ins benachbarte Bangladesch geflohen. UN-Ermittler kamen zu dem Ergebnis, dass die Armee "mit der Absicht eines Genozids" vorgegangen sei. Suu Kyi räumte zwar ein, dass an Rohingya Kriegsverbrechen begangenen worden sein könnten, dabei handele es sich aber nicht um einen Völkermord.

Es war für das Land erst die zweite Wahl, die von internationalen Beobachtern seit dem Ende der direkten Militärherrschaft im Jahr 2011 als frei und fair angesehen wurde. Nach dem Putsch im Jahr 1962 wurde Myanmar 49 Jahre lang vom Militär regiert.

Steckbrief Aung San Suu Kyi

1945 geboren als Tochter des Generals und Volkshelden Aung San (1947 ermordet), der für die Unabhängigkeit Burmas von Großbritannien kämpfte; Kindheit und Jugend in Indien.

1964-67 studiert sie Politik, Wirtschaft und Philosophie in Oxford.

1972 heiratet sie den britischen Wissenschafter Michael Aris.

1973 und 1977 Geburt der Söhne Alexander und Kim.

1988 Rückkehr nach Burma (Birma), Sturz der Militärdiktatur unter Ne Win, Aufstände, Errichtung einer weiteren Militärdiktatur, Gründung ihrer Partei Nationale Liga für Demokratie (NLD): Weg des gewaltfreien Widerstands gegen die Diktatur.

1989 erstmals Hausarrest, insgesamt 15 der nächsten 21 Jahre eingesperrt.

1990 Wahlsieg ihrer Partei NLD, Militär ignoriert das Ergebnis.

1991 Auszeichnung mit dem Friedensnobelpreis.

2010 lässt die Junta wählen. Die NLD hätte ihre eigene Vorsitzende Suu Kyi als "Vorbestrafte" ausschließen müssen, um sich registrieren lassen zu können. Die Nichtregistrierung hatte die zwischenzeitliche Auflösung der Partei zur Folge. Nach der Wahl lässt die Junta Suu Kyi frei.

2012 gewinnt die NLD bei Nachwahlen 43 von 45 Sitzen, Suu Kyi zieht ins Parlament ein - zähneknirschend muss auch sie auf die Verfassung von 2008 mit Vorrechten für das Militär (ein Viertel der Parlamentssitze für Militärs reserviert) Eid ablegen.

2014 lehnt das vom Militär dominierte Parlament eine Änderung der Verfassung ab. Diese schließt Suu Kyi auch vom Präsidentenamt aus, das die Politikerin anstrebt.

2015/2016 - Ende der seit 1962 bestehenden Militärdiktatur: Nach Wahlen mit einem Erdrutschsieg der NLD kommt die NLD an die Regierung. Das Parlament wählt Htin Kyaw (NLD) zum Staatspräsidenten - anstelle des Ex-Militärs Thein Sein. Suu Kyi wird im Rahmen eines neu geschaffen Amts De-Facto-Regierungschefin.

2016/17 - Der jahrzehntelange Konflikt mit der muslimischen Volksgruppe der Rohingya eskaliert. Hunderttausende Rohingya fliehen vor der myanmarischen Armee nach Bangladesch. Auf internationaler Ebene nimmt der Ruf Suu Kyis wegen ihrer Rolle in der menschenrechtlichen und humanitären Krise Schaden.

2020/2021 - Die NLD erringt die absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl. Die Armee spricht von Wahlbetrug und reißt alle Macht an sich.

(Reuters)

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