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Ein Bub stiehlt Justin Timberlake die Show

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In „Palmer“ spielt Justin Timberlake einen grimmigen Ex-Sträfling, der sich um einen lebensfrohen queeren Buben sorgt – und übt sich in mimischer Verhärtung.

Dieses Selbstvertrauen kann man jedem Kind nur wünschen. „Buben spielen nicht mit Puppen“, sagt der grimmige Ex-Sträfling Palmer, nachdem er das Nachbarskind eine Weile mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Abscheu beobachtet hat. Der kleine Sam schaut kaum von seinen Barbies auf und sagt ganz beiläufig, dass er doch ein Bub sei – und damit quasi lebendes Beispiel, dass an Palmers haarsträubendem Postulat nix dran sein kann. Später wird Palmer es halbherzig wieder probieren, als sich Sam seine Lieblingszeichentrickserie über Prinzessinnen ansieht. „Wie viele Buben siehst du in dieser Sendung?“, fragt er. Sam: „Keine.“ – „Und was sagt dir das?“ Sam strahlt: „Dass ich der erste sein kann.“

Inbegriff von kindlicher Resilienz

Das Familienmelodram „Palmer“ – kürzlich auf dem Streamingdienst Apple TV+ erschienen – mag als Schauspielvehikel für Justin Timberlake gedacht sein, der sich hier in der Titelrolle des verhärmten, wortkargen Provinzamerikaners im Resozialisierungsmodus als Charakterdarsteller versuchen kann. Doch der eigentlich Star des Films ist der achtjährige Ryder Allen in der Rolle des dicklichen süßen Sam. Dieser ist der Inbegriff von kindlicher Resilienz: Von der drogenabhängigen Mutter wird er vernachlässigt, von den anderen Kindern (und auch Erwachsenen) sekkiert, weil er sich den üblichen Geschlechternormen nicht fügen mag, Teepartys Raufereien vorzieht und beim samstäglichen Football-Match lieber mit den Cheerleadern als den Spielern mitfiebert. Sein sonniges Gemüt, seine ehrliche Zuversicht lässt er sich nicht nehmen. Und wenn die Welt es noch so böse mit ihm meint: Krönchen richten, weiterspielen.

Natürlich lässt seine unbekümmerte Lebensfreude auch Palmer nicht unberührt. Filme über problembeladene Männer, die durch die Begegnung mit schutzbedürftigen Kindern verwandelt werden, gibt es nicht zu wenige. „Palmer“, gefühlig und konventionell inszeniert von Fisher Stevens (der zuvor etwa bei der von Leonardo DiCaprio produzierten Klimadoku „Before the Flood“ Regie geführt hat), fügt dem bewährten Handlungsmotiv – außer dem Quäntchen Gender-Diskurs – nicht viel hinzu, bemüht sich aber immerhin um Authentizität. Die Beziehung zwischen den beiden Außenseitern wirkt ungekünstelt – und als Milieuporträt des ärmlichen, ländlichen Louisiana bietet der Film durchaus Nuancen, statt nur die typische Hillbilly-Erzählung fortzuschreiben.

Eddie Palmer, der nur beim Nachnamen genannt werden will, war einst ein Footballstar in seinem kleinen Kaff, das er mit einem Vollstipendium Richtung Uni verließ. Ein Unfall beendete seine Sportkarriere, Palmer rutschte auf die schiefe Bahn, landete im Gefängnis. Darüber redet er nicht gern, überhaupt gibt er wenig von sich preis. Timberlake übt sich in so viel mimischer Zurückhaltung, dass seinem Gesicht letztlich überhaupt keine emotionale Entwicklung abzulesen ist. Er gibt Palmer als stoischen Kerl, der nur in Momenten höchster Agitation eine Träne hervorpresst oder die Fäuste handeln lässt.

Das wirkt immerhin ehrlich

Etwa, wenn es darum geht, den kleinen Sam zu beschützen, für den er bald zur Vaterfigur wird: Dessen Mutter (glaubhaft kaputt: Juno Temple) lebt nebenan in einem Wohnwagen, verschwindet aber regelmäßig wochenlang. Erst unfreiwillig, dann mit wachsender Hingabe kümmert sich Palmer um den Buben, während er mit einem neuen Job als Schulwart Struktur in sein Leben bringt und eine zögerliche Romanze mit Sams Lehrerin (Alisha Wainwright) eingeht.

Die Selbstverständlichkeit, mit der Sam in seinen roten Cowboystiefeln, mit der Prinzessinnen-Jausendose in der Hand, über den Spielplatz stapft, inspiriert Palmer. Elend, Hass und Verwahrlosung blendet der Film nicht aus. Aber er ruft dazu auf, tolerant zu sein und zweite Chancen zu gewähren. Dass das bei aller Vorhersehbarkeit ehrlich wirkt, ist wohl die größte Überraschung hier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2021)

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