Der einflussreiche Kritiker von Russlands Präsident Wladimir Putin sitzt in Untersuchungshaft. Diese könnte nun ihn eine mehrjährige Haftstrafe umgewandelt werden. Ein Urteil wird noch heute Abend erwartet.
Der russische Strafvollzug hat gegen den Regierungskritiker Alexej Nawalny eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren gefordert. Der 44-Jährige habe gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen und insgesamt sieben Mal die Meldepflicht bei den russischen Behörden verletzt, hieß es am Dienstag vor Gericht. Zudem forderte der Strafvollzug eine Geldstrafe von 500.000 Rubel (umgerechnet 5400 Euro), wie russische Agenturen aus dem Gerichtssaal meldeten.
Der Strafvollzug hatte bereits zuvor erklärt, dass er die Bewährungsstrafe gegen Nawalny aus dem umstrittenen Verfahren von 2014 in echte Haft umwandeln lassen wolle. Das Vorgehen wird auch international als politisch motiviert kritisiert.
Nawalny hat seinen Auftritt beim Gerichtsprozess für einen neuen Angriff auf Präsident Wladimir Putin genutzt. Putin werde als "Wladimir, der Vergifter der Unterhosen" in die Geschichte eingehen, sagte Nawalny am Dienstag, berichteten verschiedene Kanäle im Nachrichtendienst Telegram aus dem Gericht. Nawalny erinnerte daran, dass er nur knapp einen Mordanschlag mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebte.
Für das Attentat macht er Putin und Agenten des Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Das "Killerkommando" soll das Nervengift in seiner Unterhose angebracht haben. Nawalny kritisierte erneut, dass russische Ermittler bis heute Untersuchungen zu dem Anschlag vom August ablehnten. "Wir haben nachgewiesen, dass Putin diesen versuchten Mord verübt hat." Und nun spiele "dieser kleine, diebische Mensch in seinem Bunker" verrückt, weil sein Gegner überlebt habe, meinte der 44-Jährige. Putin und der FSB weisen es zurück, in den Mordanschlag verwickelt zu sein. Der Oppositionsführer rief die Menschen in seinem Land auf, trotz des Drucks ihre Angst zu überwinden. Er verlangte zudem die umgehende Freilassung aller politischen Gefangenen in Russland.
Große Polizeipräsenz rund um Gericht
Wie eine unantastbare Festung war das Stadtgericht – ein klobiges, mit beigen Kacheln überzogenes Gebäude – abgeriegelt. Beamte in Kampfmontur warteten hinter Tretgittern. Wie schon bei den jüngsten Protesten zeigten die Sicherheitskräfte sehr große Präsenz. Mehrere Gefangenentransporter standen bereit. Auch das Viertel rund um das Gericht war in der Hand der Polizei.
Eine Unterstützungskundgebung, zu der Anhänger Nawalnys gerufen hatten, sollte von Anfang an unterbunden werden. Schon an den Ausgängen einer nahegelegenen Metrostation gingen die Kontrollen los. Junge Menschen, die den Eindruck von Anhängern erweckten, wurden sofort festgenommen. Bis zum frühen Nachmittag zählte man mehr als 200 Festnahmen. Auch Journalisten waren, wie schon am vergangenen Wochenende, Übergriffen der Sicherheitskräfte ausgesetzt.
Moskau sieht „psychologischen Druck“ auf Richterin
In den Saal 635, in dem die Verhandlung ab 11 Uhr Ortszeit stattfand, wurden nur mehrere Dutzend Berichterstatter und fast zwei Dutzend ausländische Diplomaten, darunter eine Vertreterin der österreichischen Botschaft, vorgelassen. Auch Vertreter der USA, Großbritanniens, Polens und Bulgariens waren anwesend. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, echauffierte sich in einem Post über die „Einmischung in innere Angelegenheiten Russlands“ und den angeblichen „psychologischen Druck“ auf die Richterin durch die diplomatische Präsenz. Prozessbeobachtung durch Diplomaten ist eine durchaus verbreitete Praxis.
Präsident Wladimir Putin lehnt jeden Dialog mit Nawalny und dessen Anhängern ab. Am Sonntag hatten wieder zahlreiche Menschen in Moskau und Dutzenden anderen Städten im ganzen Land die Freilassung des Regierungskritikers gefordert. Nach Schätzungen von OWD-Info wurden dabei über 5300 Demonstranten festgenommen.
Experten erwarten jahrelange Haft
Nawalny überlebte im August nur knapp einen Mordanschlag mit dem international geächteten chemischen Kampfstoff Nowitschok. Der 44-Jährige macht für das Attentat den russischen Präsidenten, Wladimir Putin, und Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB verantwortlich. Nawalny sieht den Prozess als Strafe des Kreml dafür an, dass er nicht gestorben ist. Putin und der FSB hatten die Vorwürfe des Anschlags zurückgewiesen.
In der Zeit in Deutschland, als Nawalny sich von dem Attentat erholte, soll er sich nicht bei den russischen Behörden gemeldet haben - wie in einem früheren umstrittenen Strafverfahren vorgeschrieben. Der russische Strafvollzug will deshalb nun vor Gericht eine Bewährungsstrafe in echte Haft umwandeln lassen.
An diesem Dienstag wird die schwedische Außenministerin, Ann Linde, zu Gesprächen mit ihrem russischen Amtskollegen, Sergej Lawrow, in Moskau erwartet. Sie hat derzeit auch den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa inne. Ende der Woche trifft sich Lawrow in Moskau zudem mit dem EU-Außenbeauftragten, Josep Borrell, der das Vorgehen gegen Nawalny und Andersdenkende mehrfach scharf verurteilt hatte. Russland verbittet sich eine Einmischung in seine inneren Angelegenheiten.
(APA/dpa/Reuters/som)