Bier und Autos: Die wirtschaftliche Basis für Tschechiens viertgrößte Stadt.
Tschechien

Nach Pilsen nicht nur dem Pils zuliebe

Westböhmen lohnt sich immer, vor allem das kinderfreundliche und kulturintensive Pilsen, mit seinem Plzeňský Prazdroj ein Bierknotenpunkt mit außergewöhnlichen Marionetten. Ein Tipp für nach allen Lockdowns.

Pilsner Urquell fließt schon lang auf dem denkmalgeschützten Areal.
Pilsner Urquell fließt schon lang auf dem denkmalgeschützten Areal.Shutterstock via Czech Tourism

»Tschechische Wirtinnen und Wirte zapfen einem das Bier
auf vier Arten.«

Die Tschechen sind ja ziemliche Bierwahnsinnige. Daher verwenden sie auch liebevolle Synonyme zu „Gerstensaft“: das Blonde, ein Stückchen, der Schlamm, die Gabe Gottes, die einzige Sicherheit, das rötliche Wasser, die Patrone, der Bottich, das flüssige Brot. Und wo könnte es frischeres Blondes geben als im westböhmischen Pilsen (Plzeň), viertgrößte Stadt des Landes (172.000 Einwohner)?
Lang bevor es zum Bierknotenpunkt wurde, war Pilsen das, was man gegenwärtig einen Bahnknotenpunkt nennt. Gegründet 1295, kam hier jeder durch, der von Prag in deutsche Länder reiste. Heute ist Pilsen nicht nur für die Automarke Škoda bekannt – das Unternehmen ist verkauft, aufgespalten und zerstückelt –, sondern vor allem für ihr goldgelbes, untergärig gebrautes Lagerbier. Doch denkbar schlecht fing die Sache an: Das ursprüngliche Bier war so mies, dass man öffentlich auf dem Hauptplatz die Fässer ausschüttete und den dicklichen Braumeister Josef Groll, einen Bayern, 1839 beauftragte, Besseres zu brauen – der Beginn einer Erfolgs­geschichte. „Pils“ bezeichnet bald eine Herstellung nach der Brauart des Pilsener Urquells. Inzwischen nennt man zwei Drittel aller Biere im Umlauf so. Seit 1842 stellen Groll und Nachfahren aus dem weichen Pilsner Wasser und einer Sorte des Saazer Hopfens die Marke Pilsener Urquell (Plzeňský Prazdroj) her, ein unfiltriertes, nicht pasteurisiertes Bier im Eichenholzfass. Mittlerweile verlassen jährlich bis zu elf Millionen Hektoliter die Fabrik. Die Füllanlage eines in 50 Länder exportierenden Weltunternehmens schafft 120.000 Flaschen pro Stunde. Die denkmalgeschützte Brauerei bietet Führungen durch die neun Kilometer lange Kellerlandschaft, dort unten beträgt die Temperatur sieben bis neun Grad, je nach Jahreszeit. Sie ist Teil des städtischen Untergrunds, eines Labyrinths aus Gängen, Kellern und Brunnen, angelegt seit dem 14. Jahrhundert, Sitz des Wasserwerks. Dem Bier entkommt in dieser Stadt niemand. Selbstverständlich erhalten Besichtiger des Untergrunds, in dem einst Eis und Lebensmittel gelagert wurden, einen Gutschein für ein Seidel Plzeňský Prazdroj. An Außendependancen der Brauerei können Interessierte sogar Bierbäder nehmen – sie sollen positiv auf die Haut wirken, Stichwort Vitamin B. Innerhalb des Fabrikgeländes, im alten Gärkeller, befindet sich ein prominentes Bierlokal, Na Spilce, mit wunderbaren Knedel-Gerichten und mit 550 Sitzplätzen auch eines der größten Restaurants des ­Landes.

Einer der eindrucksvollsten Stadtplätze Europas

Der Platz der Republik ist Pilsens ansehnliches Zentrum.
Der Platz der Republik ist Pilsens ansehnliches Zentrum.Czech Tourism

Das Zentrum umgab bis ins 19. Jahrhundert ein Wall, dessen Entfernung den Gartenring hervorbrachte, eine hübsche Promenadenallee. Pilsen ist Kultur- und Kinderstadt, da bietet sich natürlich die St.-Bartholomäus-Kathedrale mit ihrer grünen Turmspitze von 102,26 Metern Höhe an. Dreihundert Stufen führen zur Plattform, von der das Panorama bis zum 70  Kilometer fernen Böhmerwald reicht. Der Platz der Republik, unterhalb, zählt zu den eindrucksvollsten Stadtplätzen Europas und ist bestimmt der einzige mit einem Gespenstermuseum. Die prachtvollsten Gebäude sind das Renaissance-Rathaus (Mázhaus, 1554–59), und die maurisch-romanische Synagoge (1888–1893), größte des Landes, zweitgrößte Europas, drittgrößte der Welt. Das Patton Memorial erinnert an den 6. Mai 1945, den Befreiungstag durch die US-Truppen, eine Tatsache, die von kommunistischen Fake News („Das war doch die Rote Armee!“) hartnäckig bestritten wurde.Zum Auflockern kultureller Ausflüge böte sich für Familien das Techmania Science Center an, der Zoo mit seinem Dino-Park oder einfach die Hüpfburg-Landschaft Hopsina im Oberstock des bahnhofsnahen Lidl-Supermarkts. Absolutes Highlight der tschechischen Vergnügungskultur bleibt jedoch immer das Blonde. Neben einer spätgotischen Mälzerei stellt das Brauereimuseum die Geschichte des Gerstensafts von der Antike über die Industriebrauereien bis zur Gegenwart aus.

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