Die Regierung trete Rechte mit Füßen und habe „Angst vor dem Unmut der Bevölkerung“, sagt FPÖ-Klubchef Kickl. Gegen ÖVP-Innenminister Nehammer wird ein Misstrauensantrag eingebracht.
Mehr als ein Dutzend Demonstrationen sowie eine Kundgebung der FPÖ waren für den Sonntag, 31. Jänner, in Wien angemeldet worden. Beides wurde untersagt – und löste einen Schlagabtausch zwischen ÖVP und FPÖ aus. Während die Volkspartei mehreren blauen Mandataren den Rücktritt nahelegte und Klubchef Herbert Kickl einen „Brandstifter“ nannte, konterte die FPÖ mit der Einberufung einer Sondersitzung im Nationalrat am morgigen Donnerstag, im Zuge derer sie nicht nur „die Anliegen der Bevölkerung“ ins Parlament, sondern auch einen Misstrauensantrag gegen den türkisen Innenminister Karl Nehammer einbringen will.
Es gehe um die „Aufrechterhaltung von demokratischen Sitten und Gepflogenheiten in diesem Land“, begründete Kickl am Mittwoch bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Edith Brötzner, Gründerin der Initiative „Österreich ist frei“, das Vorgehen seiner Partei. „Wir wollen die Anliegen und den Protest der Bürger ins Parlament tragen“, so Kickl. Denn, da die türkis-grüne Strategie zu sein scheine, „die Menschen zu vereinzeln, damit sie leichter manipulierbar sind, kann unsere Strategie umgekehrt nur in der Zusammenarbeit und der Vernetzung liegen“.
Das sei auch der Grund, weshalb er an der Großdemonstration gegen die Coronamaßnahmen am Sonntag teilnehmen wollte, meinte Kickl. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Angst der Bundesregierung vor dem berechtigten Unmut der Bevölkerung so groß ist, dass man eine friedliche Demonstration untersagt“. Die Regierung halte es wohl nicht aus, „aus den Mündern von Zehntausend mit der Wahrheit konfrontiert zu werden“. Und diese, so der Freiheitliche, laute unter anderem, dass die Koalition die Grund- und Freiheitsrechte mit Füßen trete. Um dagegen vorzugehen, werde die FPÖ am Donnerstag in der Sondersitzung nicht nur einen Misstrauensantrag gegen Nehammer einbringen und diesen erstmals nicht schriftlich, „sondern nur mündlich begründen“, sondern auch die Anzeigen gegen drei FPÖ-Mandatare nützen, um „die rechtlichen Maßnahmen bis ganz nach oben zu treiben“. Denn: Die FPÖ breche das Gesetz nicht, „es genügt, wenn die Gesetzesbrecher in der Regierung sitzen“.
Der Hintergrund: Christan Hafenecker, Dagmar Belakowitsch und Petra Steger wird vorgeworfen, im Zuge des „Spazierganges“ (da die Demonstrationen abgesagt wurden, protestierten rund 10.000 Personen „spazierend“ am Wiener Ring, Anm.) ohne Einhaltung des Mindestabstands sowie ohne Mund-Nasen-Schutz für ein gemeinsames Gruppenfoto posiert zu haben.
Lockerungen machen „den Quatsch noch quätscher“
Auch die am Montag bekanntgegebenen Lockerungen bzw. Abänderungen des Lockdowns kritisierte Kickl. Diese Schritte machten „den Quatsch noch quätscher“. Soll heißen: „Wer soll denn die 20 Quadratmeter im Handel kontrollieren? Polizisten mit einem Rollmeter?“, mutmaßte Kickl. Selbiges gelte für Friseure: „Sollen Friseurinnen jetzt die Gesundheitsdaten der Kunden überprüfen?“ Überhaupt sei es anmaßend, einen „Test für 60 Euro“ machen zu müssen, „damit ich mir dann für 28 Euro die Haare schneiden lassen kann“, wetterte Kickl, bevor er auf das „größte Verbrechen“zu sprechen kam: die Situation in den Schulen.
„Man nimmt die Kinder her, um Druck auf die Eltern zu machen“, meinte Kickl. Er habe stets gedacht, „es gibt in Österreich ein Recht auf Bildung und eine Schulpflicht“, richtiger sei anscheinend, dass es „nur einen Test- und Maskenzwang“ gebe und das ohne medizinische Evidenz für die Zweckmäßigkeit.
Brötzner ergänzte abschließend, keine FPÖ-Wäherlin zu sein, sondern die ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz bei der vergangenen Wahl unterstützt zu haben. Dass sie nun mit den Freiheitlichen gemeinsam eine Pressekonferenz abhalte, liege daran, dass sich Kurz als ein „Mann der Willkür” entpuppt habe.
Auf einen Blick
FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl hatte vorgehabt, bei der Großdemonstration am 31., Jänner in Wien gegen die türkis-grünen Corona-Maßnahmen eine Ansprache zu halten. Da diese untersagt wurde, rief er eine eigene Kundgebung ins Leben, zu der es aber ebenfalls nicht kam. Letztlich wich die FPÖ auf Facebook aus – und auf Aussendungen.
Nach Medienberichten von Ausschreitungen und Verhaftungen im Zuge der eigentlich abgesagten Demonstrationen, beschuldigte Kickl am Sonntag – gemeinsam mit Parteichef Norbert Hofer – Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) „und Co. „mit ihrer verantwortungslosen Bestemm-Haltung mögliche Eskalationen bei den Protesten gegen die Corona-Politik der Regierung mutwillig und aus rein parteipolitischen Gründen geradezu provoziert“ zu haben.
Die Wiener Landespolizeidirektion wies de da erhöhte Gefahr der Übertragung der neuen Virusvarianten bei dem Protest bestanden habe, da dort die Abstands- und Maskenpflicht nicht eingehalten würden. ÖVP-Klubobmann August Wöginger legte mit einer Aussendung nach, in der er einen „neuen Tiefpunkt“ in Kickls „Verbrüderung mit Rechtsextremen und Corona-Leugnern“ ortete. Der FPÖ-Klubchef habe sich „öffentlich hinter den bekannten Neonazi Gottfried Küssel und den Chef der Identitären-Bewegung, Martin Sellner“ gestellt, die „rechte Szene mobilisiert, Ausschreitungen in Kauf genommen" und damit bewusst Polizisten in Gefahr gebracht. Nehammer selbst zeigte sich Sonntagabend „zutiefst betroffen, dass ein ehemaliger Innenminister (Kickl, Anm.) Öl ins Feuer“ gegossen habe. Der Einsatz sei „alles andere als ein Spaziergang“ gewesen, verwies Nehammer auf verletzte Polizeibeamte und mehr als 1000 Anzeigen.