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"Malcolm & Marie": Wer hat Angst vor dem Lockdown-Drama?

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FilmDOMINIC MILLER/NETFLIX © 2021
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„Euphoria“-Schöpfer Sam Levinson hat im Lockdown ein Beziehungsdrama gedreht: In „Malcolm & Marie“ dürfen Zendaya und John David Washington ordentlich Dampf ablassen – doch es ist alles nur Show. Ab Freitag auf Netflix.

Wie alle Kulturbranchen ächzt die Filmwirtschaft unter der Last der Pandemie. Der Ausnahmezustand könnte dort aber zumindest ein Gutes befördern: Vielleicht feiert der Kammerspielfilm, einst Königsdisziplin dramatischer Laufbildkunst, ein notgedrungenes Comeback. Dabei geht es nicht nur um abgefilmtes Theater. Klassiker des Genres („12 Angry Men“, „Cocktail für eine Leiche“, „Persona“, „My Dinner with Andre“) bieten psychologische Tiefe, schauspielerische Brillanz, rhetorische Raffinesse. Und sie überzeugen mit inszenatorischer Wertarbeit.

Im Zeitalter des Megablockbusters sind Schwatz- und Streitstücke mangels Spektakelfaktor ins Hintertreffen geraten. Doch es mehren sich Anzeichen einer möglichen Renaissance: Während in Europa vor allem hysterische Boulevardkomödien reüssieren, wärmt Hollywood seine Tradition zankfreudiger Beziehungsdramen wieder auf. Unter coronabedingt eingeschränkten Drehbedingungen drängen sich solche „Homestorys“ geradezu als Überbrückungsgattung auf: Ein Schauplatz reicht, das Team bleibt überschaubar, Infektionsrisken auch. Ab Freitag läuft auf Netflix ein Prototyp dieses Produktionsmodells: „Malcolm & Marie“. Die bereits im Frühsommer 2020 abgedrehte Doppelconférence ist die erste wirklich prominent besetzte und platzierte Covid-Produktion. Das Virus als Thema lässt sie allerdings komplett aus.

Stattdessen wirft sie das Publikum zwischen die Fronten eines Beziehungskriegs, der nach einer Filmpremiere entbrennt: Er, der ehrgeizige Jungregisseur (John David Washington), ist aufgedreht und voller Energie, swingt zu den Klängen von James Brown durch den luxuriösen Bungalow, die Kamera gleitet geschmeidig hinterdrein. Sie (Zendaya) gönnt sich erst einmal eine Zigarette. Und macht sich dann, ausstaffiert im edlen Abendkleid, ans Zubereiten eines Mitternachtssnacks – unwillig, auf seinen Begeisterungszug aufzuspringen. Was ist los? Möchte er wissen. Du hast dich in deiner Rede nicht bei mir bedankt! Meint sie. Stille. Das Match ist eröffnet.

Schmeiß das Mikrofon hin!

Im Englischen gibt es den Ausdruck „drop the mic“. Er stammt aus der Rap-Kultur: Wer sich dort „battelt“, also einen lyrischen Wettkampf austrägt, kann Verbalattacken mit einem demonstrativen Hinschmeißen des Mikrofons unterstreichen: Eine Geste der Siegesgewissheit. „Malcolm & Marie“ wirkt, ungeachtet periodischer Versöhnungsmomente, wie ein einziger Mic-drop-Marathon. Marie feuert zuerst: Du bist ein unverbesserlicher Egoist. Dein Film fußt auf meiner Lebensgeschichte, und du gibst es nicht einmal zu. Bam. Malcolm muss sich erst sammeln. Dann folgt die Retourkutsche: Du bist hier die Egoistin! Du beziehst alles nur auf dich, weil du kein Selbstwertgefühl hast!

So geht es 106 Minuten hin und her. Zuweilen driftet die Debatte ab, oft hagelt es Seitenhiebe gegen den aktuellen US-Filmdiskurs. Mit lustvollem Furor klagt Malcolm über das identitätspolitische Getue Hollywoods: nichts als Schubladendenken und Spiegelfechterei! Marie hält dagegen: Warum schreibst du dann an einem Drehbuch über Angela Davis? Auch die Filmkritik kriegt ihr Fett ab. Doch Malcolm ist in das System verstrickt, und das nicht ohne Stolz. Er ventiliert bloß seine Frustration. Und weicht so dem Kern des Streits mit seiner Partnerin aus. Fraglich ist, ob es einen solchen Kern überhaupt gibt. Dieser Film betreibt ostentative Seelenschürfung, reißt mutwillig Fassaden ein, will zur emotionalen Wahrheit einer angeknacksten Partnerschaft vordringen, wie einst „Who's Afraid of Virginia Woolf?“ oder „Faces“ von John Cassavetes.

Auf dem Spiel steht nur das Spiel selbst

Malcolm schimpft auf den Kult der Authentizität, doch der Film selbst lechzt danach. Tränen fließen, Traumata branden auf. Trotzdem kommt nichts zum Vorschein. Seine jungen Stars mühen sich redlich darum, vor allen Augen erwachsen zu werden, Abgründe offenzulegen, tief ins Gefühlsbad zu tauchen. Aber sie sind dem Material nicht gewachsen. Es fordert Nuancen, und sie kippen von einem Extrem ins andere.

Washington, der unlängst in „Tenet“ seine Muskeln spielen ließ, springt wie ein Schattenboxer herum, zetert und plustert sich auf – oder mampft wütend Makkaroni. Zendaya, bekannt aus der Serie „Euphoria“ (deren Schöpfer, Sam Levinson, hier für Skript und Regie verantwortlich zeichnet), macht aus jeder Szene eine Oscar-Bewerbung. Nie hat man das Gefühl, das etwas Substanzielles auf dem Spiel steht – außer das Spiel selbst. Alles wirkt wie eine ausgeklügelte Performance. Auch die Ästhetik: samtiges, kontrastreiches Schwarz-Weiß (gedreht wurde auf 35-mm-Film), die stilvolle Architektur des Drehorts, der erlesene Soundtrack. Jedes Element signalisiert Geschmack, Anspruch, Seriosität. Und riecht doch nach Modewerbung.

Vielleicht liegt genau darin die Wahrhaftigkeit dieses Films: als unwillkürliches Porträt des Authentizitätsdrucks einer Generation. Malcolm und Marie streiten sich eigentlich gar nicht. Sie lassen nur Dampf ab. Und üben dabei für den nächsten öffentlichen Auftritt, das nächste Interview, den nächsten Film. Ihr Geplänkel ist eine Powerpaartherapie, die Ehrlichkeit als Leistungssport begreift. Wenn der Streit vorbei ist, fällt man erschöpft ins Bett. Und bedankt sich beim Gegenüber für das ergiebige Training.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2021)

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