Geschichte

Jenseits der Donau – eine andere Welt

Ein Heimatforscher dokumentiert die Wiener Gemeindebezirke 21 und 22.

Eigentlich hat er sich ein Denkmal nicht nur in der City, sondern auch „jenseits“ der Donau verdient. Aber daran ist zur- zeit wohl nicht zu denken: Der unkonventionelle, christlich-soziale Wiener Bürgermeister Karl Lueger, zweifellos das innovativste Oberhaupt, das Wien je besaß. Gegen die Bedenken seiner Berater ließ er die Gemeinden Aspern, Donaufeld, Floridsdorf, Großjedlersdorf, Hirschstetten, Jedlesee, Kagran, Leopoldau und Stadlau 1905 zum neuen 21.Wiener Bezirk zusammenfassen. 1911 kamen noch Strebersdorf und Stammersdorf hinzu. Da hatte der Bezirk mit dem Namen „Floridsdorf“ schon Infrastruktur: Polizei, Bezirksgericht, Rathaus.

Schon 1912 schlug den ersten Flugpionieren hier die Stunde: Sponsoren fanden sich, so wurde in Aspern – „eine öde Heide, ein unergründliches Staub- und Kotmeer“ – ein Flugfeld eingeebnet. Und im Sommer strömten angeblich hunderttausend Schaulustige täglich zum Asperner Flugmeeting. „Neue Freie Presse“ und „Kronen Zeitung“ konnten gar nicht ausführlich genug über dieses Spektakel berichten.

Man merkt: Der Historiker Peter Schubert ist seiner Heimat nicht nur zutiefst verbunden, er kennt auch jedes Detail. Er berichtet von der frühesten Besiedelung der Gegend, die erst seit 1954 in Floridsdorf und Donaustadt unterteilt ist; erzählt von Mord und Überschwemmungen, Zuwanderung und Antisemitismus, von österreichischen Heldenepen und bitterster Armut. Die beiden Bezirke waren wichtige Industriestandorte und haben gleichzeitig Anteil am Nationalpark Donauauen, sie sind Freizeitparadiese und waren Schauplätze des Bürgerkriegs 1934. Wo sich heute die architektonisch beispielhafte UNO-City erhebt, kippte das „bessere Wien“ jahrhundertelang seinen Mist ab. Dann, lang nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde daraus ein prächtiger Park, der 1964 die Internationale Gartenschau beheimatete.

Hier sollte übrigens die Hauptstadt Niederösterreichs entstehen, als Wien ein eigenes Bundesland wurde. Und im „Dritten Reich“ war gar daran gedacht, einen Donauhafen nach dem Vorbild Hamburgs zu errichten. Wo Napoleon Bonaparte 1809 während seiner ersten Niederlage sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, propagierten hundert Jahre später Nackte ein freies Leben.

Von Schiele zum „Herrn Karl“

Ein Heimatbuch neuer Art, das historische Ereignisse mit ihren Schauplätzen und dem Heute verbindet und das bisher eher ungewöhnlich auch literarische und künstlerische Darstellungen einbezieht und damit einen Bogen spannt zwischen dem von Egon Schiele gezeichneten Floridsdorfer Weinkeller und den amourösen Abenteuern des legendären „Herrn Karl“ im Überschwemmungsgebiet. Wir erinnern uns: Ribiselwein . . .

Viele zeitgenössische Fotos sieht man hier zum ersten Mal. Sehr ausführlich dokumentiert ist in diesem Zusammenhang das Kriegsende 1945, russischer Einmarsch, Wiederaufbau, Versorgung mit dem Allernotwendigsten, politische Säuberung, Machtübernahme durch die drei damals zugelassenen Parteien (SPÖ, ÖVP, KPÖ).

Kein Wissensgebiet lässt der begeisterte Lokalhistoriker Schubert aus: Die Pfarrkirchen (24 katholische), den Jugendstil, die Begräbnisstätten, die Donau-Bäder, die Wandermöglichkeiten, etwa bei der Schwarzen Lacke oder bis zum Bisamberg. Profund, sympathisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2021)

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