Am Herd

Einsamer und leiser

Meine Welt ist einsamer geworden und auch leiser, und das kommt mir zeitweise so selbstverständlich vor, dass ich darauf vergesse.
Meine Welt ist einsamer geworden und auch leiser, und das kommt mir zeitweise so selbstverständlich vor, dass ich darauf vergesse.Imago Images
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Meine Welt ist einsamer geworden und leiser, das kommt mir zeitweise so selbstverständlich vor, dass ich darauf vergesse. Plötzlich sind wieder andere Dinge wichtig.

Corona ist angekommen. Nämlich in meinen Träumen. Dort halten die Menschen neuerdings Abstand, da schüttelt keiner mehr dem anderen die Hand, und statt wie früher vor der Latein-Matura zu verzweifeln, sitze ich jetzt in der Straßenbahn: Da fahre ich dahin zu einem Termin, ich bin zu spät, viel zu spät, und plötzlich fällt mir auf, dass ich keine Maske trage. Ich habe sie zu Hause vergessen. Was tun? Aussteigen? Weiterfahren? Das sind die neuen Dilemmata meiner Nächte.

Wir wünschen uns: Normalität. Aber die Wahrheit ist, das hier ist schon normal. Das hier ist jetzt unser Alltag, auch wenn wir uns noch sträuben: Wir träumen von Antigentests und Videokonferenzen, sind irritiert, wenn in Filmen Menschen sich umarmen, ja sogar beim Lesen zucken wir kurz zurück: Ein Fest? Die feiern allen Ernstes ein Fest? Unser Gefühl für Nähe und Distanz hat sich langsam verändert, wir gehen automatisch zur Seite, weichen aus, fühlen uns am sichersten zu Hause. Manchmal merke ich sogar, wie ich mein Lachen zügle. Und senken wir nicht alle unsere Stimmen? Die Aerosole!

Straßenmusikanten

Meine Welt ist einsamer geworden und auch leiser, und das kommt mir zeitweise so selbstverständlich vor, dass ich darauf vergesse. Plötzlich sind wieder andere Dinge wichtig. Dann rede ich über das Wetter, darüber, dass die Sonne schon wieder wärmt, ich beobachte mein Rosenstöckchen, das erste Blätter bekommt, und ärgere mich über die Pakete, die ihren Weg nicht in den dritten Stock finden. Dabei bin ich zu Hause. Im Moment ist immer irgendjemand zu Hause.

Sosehr ich es mir ersehne: Ich kann mir kaum mehr vorstellen, wie das ist, in einem Café zu sitzen, neben anderen Gästen, Zeitungen, inmitten von Geplauder, klirrendem Besteck und einer Kaffeemaschine, die dezenten Lärm macht. Oder durch eine Fußgängerzone zu gehen und mich durch eine Menge zu kämpfen, die sich um einen Straßenmusikanten schart. Oder mit einem Kollegen auf dem Gang zu plaudern, und ich sehe sein Lächeln.

Wie lang wird das so bleiben? Wie lang, auch nachdem diese Krise vorbei ist? Werden wir weiter fremdeln? Wird uns ein Handschlag je wieder selbstverständlich sein?

Oder wird es mir mit Corona so gehen wie mit den Jahreszeiten: Jeden Winter wundere ich mich aufs Neue, dass es auch eine Zeit gibt, in der ich keine schweren Jacken, keine Schuhe mit dicken Sohlen trage, in denen ich im leichten Kleid aus dem Haus schlüpfe und der warme Wind streicht über meine Oberarme. So fern scheint mir das, so fremd.

Und dann ist doch wieder Sommer.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2021)

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