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Auch der gütige Tom Hanks braucht eine Waffe

News of the World
News of the WorldBruce W. Talamon/Universal Pictures
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Zwei Hoffnungsträger in einem zerrütteten Land: Im Westerndrama „News of the World“ tingeln ein Zeitungsvorleser (Tom Hanks) und ein Wolfsmädchen (Helena Zengel) durch die USA. Der Film stimmt perfekt auf die Ära Biden ein. Ab Mittwoch auf Netflix.

Die Zeichen in den USA stehen auf Neuanfang. Während die Präsidentschaft Donald Trumps vielen wie ein vierjähriges Unwetter vorkam, hat sich Joe Biden die Sanierung der sozialen Stabilität seines Landes groß auf die Fahnen geschrieben: Einheit, Heilung und Wiederaufbau waren zentrale Schlagworte seiner Antrittsrede.

Hollywood, stets sensibel für kulturelle Stimmungslagen, folgt dieser politischen Agenda auf dem Fuße: Wo bis vor Kurzem Entrüstung und Betroffenheit den Ton angaben, bahnt sich eine Optimismus-Offensive an. Fleißige Kommentatoren katalogisieren bereits die „ersten Filme der Biden-Ära“. Oft scheint das Label wohlfeil. Doch im Fall von „News of the World“ passt es wie das präsidiale Siegel auf das amtliche Kommuniqué.

Das Westerndrama, von Universal produziert und nach einem US-Kinostart im Dezember bei Netflix deponiert, legt sein rekonstruktives Ansinnen eigentlich schon mit der Wahl des Genres offen: Die Prärielegenden des Westerns erzählten immer auch von Zivilisierungsprozessen, vom Kraftakt und vom Preis der Vergesellschaftung. „News of the World“ spielt fünf Jahre nach dem Ende des Sezessionskriegs, die Jungdemokratie ist knapp am Kollaps vorbeigeschrammt. Hier tingelt Captain Kidd (Tom Hanks), ein Ex-Konföderierter, durch Texas.

Ein Typ von der "falschen Seite der Geschichte"

Schauplatz und militärische Zugehörigkeit sind kein Zufall, sondern ein symbolischer Olivenzweig: Hanks, Galionsfigur des liberalen Flügels von Hollywood (und erklärtes Feindbild von QAnon-Verschwörungstheoretikern), spielt hier jemanden von der „falschen Seite der Geschichte“. Und bleibt dabei freilich Tom Hanks: eine Ikone des Anstands, ein Schutzheiliger der politischen Mitte, das gütige Gewissen in Person.

Kidd verdingt sich als Zeitungsvorleser, bringt einer bildungsfernen Bevölkerung Kunde von Lokalereignissen – und vom Lauf des großen Ganzen. Etwa von einer „Meningitis-Epidemie“, die schon „97 Seelen“ gefordert hat – damit der Gegenwartsbezug auch in den hintersten Reihen ankommt. Wenn er den Präsidenten Ulysses S. Grant erwähnt, gehen die Gemüter seines texanischen Publikums hoch: Es ächzt unter dem Joch der Yankee-Schutzherrschaft. Kidd beschwichtigt verständnisvoll: „Wir alle leiden.“

Die Nation ist zerrüttet. Aber Fassung muss sein. Denkt an die Kinder! Zum Beispiel an die junge Johanna. Ein Spross deutscher Einwanderer, der als Baby von Kiowa-Ureinwohnern entführt wurde. Kidd stolpert über das verwahrloste Wolfsmädchen (verkörpert von Helena Zengel, die als „Systemsprenger“ in Nora Fingscheidts Fürsorgedrama begeisterte). Und beschließt, es in die Obhut entfernter Verwandter zu überführen.

Was hätte Clint Eastwood gemacht?

Im Zuge des folgenden Road-Movies müssen die beiden erst eine gemeinsame Sprache finden. Das traumatisierte Gör, das nie gelernt hat, mit Messer und Gabel zu essen, lässt sich nur mit Vertrauen zähmen. Also muss Kidd sein eigenes wiederfinden. Kein leichtes Unterfangen im Wilden Süden. Überall lauern Gefährder: hinterhältige Haderlumpen und Extremisten, die ins moralische Abseits gerutscht sind. Etwa ein Strauchdieb (witzig: Michael Angelo Covino), der laut über Ungleichheit klagt. Kidd schießt mangels Munition mit Münzen auf ihn: Auch eine Form von Umverteilung.

Später wird die Deutsch-Amerikanische Freundschaft von Rednecks bedrängt. Ihr rassistischer Anführer geriert sich als Diktator eines Mikrostaats im Staat. Kidd soll seine Untertanen mit Propaganda unterhalten. Und emanzipiert sie prompt mit Anekdoten über Solidarität, die eine Volksabstimmung befördern. Vom Geist der Demokratie beseelt, erkennen sogar dümmliche Klischee-Hinterwäldler, dass sie manipuliert wurden: ein frommer Wunsch. Und ungeachtet des demonstrativen Versöhnungsgestus, den der Film gegenüber dem republikanischen Teil der USA einnimmt, herablassend wie eh und je. Unwillkürlich fragt man sich, was jemand wie Clint Eastwood mit dieser Geschichte gemacht hätte. Seine Filme präsentieren die Konflikte im Herzen Amerikas meist, ohne sie reibungslos aufzulösen.

Die Utopie hat Brüche

„News of the World“-Regisseur Paul Greengrass tickt anders. Ästhetisch dringliche Tatsachenverfilmungen (und die „Jason Bourne“-Agententhriller) sicherten ihm einen Ruf als Hollywood-Realist. Doch der Brite tendiert zum glättenden Sentiment, das er aus dem Effeff beherrscht. Narrativ souverän und technisch einwandfrei führt er durch die sepiagetönten Stationen seines erbaulichen Historienstücks.

Nach vielen Prüfungen und Läuterungen obsiegt das Verbindende. Die Protagonisten können unbeschwert lachen, und mit ihnen die Welt: Endlich wieder gute Nachrichten! Ob die Hoffnung in der US-Wirklichkeit hält? Ein Detail verrät die Brüchigkeit der Utopie: Ohne Waffe kommt Tom Hanks in diesem Film nie aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2021)

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