Filmfest Venedig: Kontroverser Mystery Man am Lido

Filmfest Venedig Kontroverser Mystery
Filmfest Venedig Kontroverser Mystery(c) REUTERS (ALESSANDRO BIANCHI)
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Schauspieler Vincent Gallo provoziert mit seiner Regiearbeit "Promises Written in Water" im Wettbewerb von Venedig. Er hat den Film geschrieben, inszeniert und produziert. Weitere Informationen gibt es nicht.

Eine einzige Seite im Katalog der Kino-Mostra Venedig ist ohne Foto zum Film. Statt einer Inhaltsangabe steht nur: „Dieser Film ist von Vincent Gallo geschrieben, inszeniert und produziert worden. Weitere Informationen werden nicht zur Verfügung gestellt.“ Wo der Platz für einen Kommentar des Regisseurs vorgesehen ist, prangen zwei Worte: „No comment.“

Promises Written in Water, die dritte Regiearbeit des eigenwilligen Hollywoodschauspielers Vincent Gallo (einen neuen Kurzfilm wird er auch noch in Venedig vorstellen), ist in jeder Hinsicht die Ausnahmeerscheinung in der heurigen Venedig-Konkurrenz, schon im Erscheinungsbild: Der billig selbst finanzierte Film ist auf schwarz-weißem, körnigem 16-Millimeter-Material gedreht. Es gibt kaum Kamerabewegungen, die Handlung erschließt sich bestenfalls elliptisch. Gallo setzt sich vor allem selbst in Szene: Er spielt einen jungen Mann namens Kevin, der meist lange, wie improvisiert wirkende Monologe hält. Kurz nach Beginn erzählt Kevin von seiner Freundin in Thailand. Wieder und wieder variiert er dieselben paar Sätze. Beim letzten Mal sagt er unmotiviert Taiwan statt Thailand. Gallos Film gibt sich bewusst mysteriös, vorab wurde mancherorts lanciert, es sei ursprünglich das Projekt eines Regiedebütanten gewesen, dem Hauptdarsteller Gallo die Kontrolle entrissen habe. Auch das gehört zum Spiel mit der Kunstfigur, zu der sich Gallo konsequent stilisiert hat, seit er mit Rollen in Filmen wie Arizona Dream bekannt wurde: Auf seiner Homepage vertreibt er Gallo-Devotionalien, bietet seine Begleiterdienste für Damen um 50.000Dollar feil und stellte sein Sperma für eine Million zum Verkauf. Dabei provozierte er bewusst einen Skandal, weil er sich laut Begleittext weigerte, an Schwarze zu verkaufen und Rabatt für arische Frauen in Aussicht stellte.

Typisch für Gallo ist ein widersprüchlicher Mix aus sexueller Provokation und konservativen Ansagen: Sein Kevin in Promises Written in Water beginnt eine Beziehung zu einem todkranken Mädchen, das er für dessen unsittlichen Lebenswandel rügt – in einer stummen Schlüsselszene fährt dann die Kamera minutenlang ihren nackten Körper ab, ihr Geschlechtsteil ist immer wieder in Großaufnahme zu sehen. Trauer und Tabubruch kollidieren, während der Filmemacher Gallo einer kargen Poesie des Privaten nachspürt, gleichzeitig mit seiner öffentlichen Persona als Narziss und Unruhestifter kokettiert: Schon sein letzter Spielfilm The Brown Bunny sorgte so 2003 in Cannes für einen Eklat: Da gab es eine Fellatioszene mit Aktrice Chloë Sevigny, schon vorher war die Pressevorführung von Buhrufen und Gelächter begleitet, weil es als reine Eitelkeit wahrgenommen wurde, dass sich Gallo so ausgiebig ins Bild rückte. Die brüchige Intensität seiner radikal unkommerziellen Inszenierung wurde dagegen als Unvermögen interpretiert. Genau dasselbe ist jetzt wieder gelungen: Vor allem italienische Journalisten ergingen sich in demonstrativen Lachanfällen. Bei der Publikumsvorführung wurde der Film dagegen positiv aufgenommen. Zu der war Gallo gar nicht erschienen: Er stilisiert sich auch abseits der Leinwand zum Mystery Man. Es heißt zwar, Gallo laufe mit einer Skimaske am Lido herum, passend zu seiner Hauptrolle in einem anderen Wettbewerbsfilm: Jerzy Skolimowskis Essential Killing, in dem er einen Taliban-Terroristen spielt. Aber Interviews gibt es keine: Man kann nur versuchen, privat via E-Mail-Adresse anzufragen. „Die Presse“ hat bisher keine Antwort erhalten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2010)

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