Fällt das Kopftuchverbot?

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An türkischen Unis ist Verhüllung tabu. Nach der Verfassungsreform könnte die Regierung das ändern. Die Türkei hat Religion und Staat in allen Bereichen zu trennen, so lautet die Verfassung des Landes.

Wien/Ankara. Die Türkei hat Religion und Staat in allen Bereichen zu trennen. Jedenfalls sagt das die Verfassung, und die wird vom türkische Verfassungsgericht sehr genau befolgt. Das bedeutet auch: keine Kopftücher an höheren Bildungseinrichtungen. Die islamisch-konservative AKP-Regierung unternahm erfolglos Versuche, dieses Verbot zu kippen. Nun könnte die Verfassungsreform, über die am 12.September abgestimmt wird, das Kopftuch endgültig an die türkischen Universitäten zurückbringen.

Progressive türkische Studentinnen wollen kein Kopftuch an den Unis sehen: „In Universitäten ist es in unserem Rechtssystem absolut verboten“, sagt Rüya H. (Name von der Red. geändert), Jusdoktorandin in Istanbul, zur „Presse“. „Die Sache hat nichts mit Religion zu tun, sondern mit Politik.“ Genau deshalb habe das Kopftuch an Bildungseinrichtungen nichts zu suchen. Es gehe nicht um Religionsausübung, sondern um politische Machtspiele. Die seien Gift für freie Universitäten.

Während die einen gegen das Kopftuch an Universitäten ankämpfen, weil sie es für diskriminierend halten, sehen sich konservative Musliminnen in ihren Rechten auf Religionsausübung und Bildung beschnitten. Dieser Meinung ist auch Mehmet Uzun, Jusprofessor an der Bahçeşehir-Universität in Istanbul. Die Verfassung eines der größten muslimischen Staaten könne nicht einfach gläubige Frauen von höherer Bildung ausschließen. Feinheiten von gesellschaftlichen Konflikten sollten laut Uzun überhaupt nicht durch Gesetze geregelt werden. Es müsse sich in Sachen Kopftuch erst ein einheitliches demokratisches Verständnis in der Bevölkerung herausbilden.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verfolgt in der Sache eine eindeutige Linie: Studentinnen, die auf das Tragen eines Kopftuchs in höheren Bildungseinrichtungen bestehen, können von deren Zulassung ausgeschlossen werden.

„Es geht um Machtspiele“

Laut dem türkischen Verfassungsgericht ist das Tragen des Kopftuchs in höheren Bildungseinrichtungen ein Verfassungsbruch. Die Regierung wollte das 2009 per Gesetz ändern, doch das Verfassungsgericht hob dieses Gesetz unverzüglich wieder auf. Geht die anstehende Verfassungsreform durch, kann die AKP mit ihrer Parlamentsmehrheit und dem AKP-Mann Abdullah Gül im Präsidentenamt neue Verfassungsrichter ernennen, die vermutlich ihrer Linie nahestehen werden. Die Türkei muss sich auf einen neuen Kurs der Richter einstellen – vor allem auf eine andere Handhabung des Kopftuchverbots.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.09.2010)

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