Warten als Motiv

Auf der Bühne ist keine Uhr

Fernand Michaud / Wikimedia.
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„Hier wird die Zeit zum Raum“, heißt es im „Parsifal“. Doch die Zeiger laufen nicht schneller, wenn man sie anstarrt. Über das Warten als Qual und Herausforderung.

Komm, wir gehen“, sagt Estragon. „Wir können nicht“, sagt Wladimir. „Warum nicht?“, fragt Estragon. „Wir warten auf Godot“, antwortet Wladimir. Sie haben es gewusst, liebe Leserin, Sie haben darauf gewartet, lieber Leser: Wenn es um Warten geht, und noch dazu in kulturellem Umfeld, dann dürfen sie nicht fehlen, die beiden staubigen Helden in Samuel Becketts Drama. Immerhin, sie spielen nicht Karten beim Warten, „dass d’Zeit vergeht“, wie die Pompfüneberer in Gerhard Rühms Gedicht „mit mia ged s beagobb“, sie warten auf jemanden Bestimmten, jeden Akt aufs Neue. Und auf der Landstraße beziehungsweise auf der Bühne ist keine Uhr, auf der sie dabei zuschauen könnten, wie die Zeit vergeht.

»Wenn man nur
lang genug wartet, kommt jemand oder etwas. «

Das ist ja das Bestürzende an einer analogen Uhr, etwa einer Bahnhofsuhr, dass man meinen kann, der Zeit beim Vergehen zuzusehen. Gewiss, da ist ein Trick dahinter: die Übersetzung der Zeit in Raum, in einen runden Weg, den der Zeiger gleichmäßig geht, ob man ihn ansieht oder nicht. Er liegt immer in der Kurve, wie die Witzbolde sagen. Geht er wirklich unbeirrt von den Blicken? Na klar, sagt die klassische Physik. Die Quantenphysik ist sich nicht ganz so sicher. Sie kennt den Zeno-Effekt, oft mit einem englischen Sprichwort illustriert: „A watched pot never boils.“ In der Quantenwelt stimmt das wirklich: Durch unentwegte Messungen kann man verhindern, dass ein System von einem Zustand in einen anderen Zustand übergeht. Denn jede Messung stört das System. Das ist bei der Bahnhofsuhr natürlich nicht der Fall, auch wenn man sie noch so anstarrt. Und nein, der Bus kommt nicht wirklich schneller, wenn man sich eine Zigarette anzündet. Aber es kommt einem so vor. Wohl weil das Anzünden der Zeit einen Inhalt gibt, und sei er noch so ungesund. Die reine, die leere Zeit ist schwer zu ertragen, sie vergeht paradoxerweise zu langsam und zu schnell zugleich, sie ist bedrohlich maßlos für unser Hirn, das auf sie nicht eingestellt ist, sondern auf Bewusstseinsinhalte, die eine gewisse Zeit brauchen, wie in Peter Lichts wunderbarem Lied „Sonnendeck“: „Alles, was ist, dauert drei Sekunden, eine Sekunde für vorher, eine für nachher, eine für mittendrin.“

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