Terror

Bericht zu Anschlag in Wien belegt Mängel im Verfassungsschutz

Die Zerbes-Komission sollte die Vorgänge im Vorfeld des Terroranschlages von Wien klären.
Die Zerbes-Komission sollte die Vorgänge im Vorfeld des Terroranschlages von Wien klären.(c) Getty Images (Thomas Kronsteiner)
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Die Untersuchungskommission unter Vorsitz der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes zeigt etwa Mängel beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder auf.

Am Mittwoch hat die Untersuchungskommission zur Klärung von allfälligen Pannen und Versäumnissen im Vorfeld des Terror-Anschlags vom 2. November in der Wiener Innenstadt ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das Gremium unter Vorsitz der Wiener Strafrechtlerin Ingeborg Zerbes zeigt darin vor allem Mängel aufseiten des Verfassungsschutzes auf, etwa beim Risikobewertungsprogramm für Gefährder, bei der Datenverarbeitung und dem Informationsfluss zwischen den einzelnen Behörden.

Explizit spricht sich die Zerbes-Kommission dafür aus, dass die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und den entsprechenden Behörden in den Ländern "überdacht und klarer gestaltet" wird. Zum BVT heißt es in dem Bericht wörtlich: "Die stets angekündigte Neustrukturierung des BVT sollte nun ohne weitere Verzögerungen und transparent durchgeführt werden." Die "Reform des BVT" sei "zügig abzuschließen".

Nehammer: "Daran arbeiten wir gerade mit aller Kraft"

"Ich bin froh, dass die Untersuchungskommission so rasch und konsequent gearbeitet hat, dass bereits circa drei Monate nach dem Terroranschlag ein umfassender Bericht vorliegt", erklärte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) in einer ersten Reaktion. Es sei ihm von Beginn an wichtig gewesen, "dass die Vorgänge im Vorfeld des Terroranschlages offen, transparent und unabhängig durchleuchtet werden." Eins zeige sich bereits nach einer ersten Sichtung des Berichts: "Der Verfassungsschutz muss rasch auf völlig neue Beine gestellt werden. Daran arbeiten wir gerade mit aller Kraft."

In Vertretung der in ihrer Babypause befindlichen Justizministerin Alma Zadic (Grüne) bemerkte Vizekanzler Werner Kogler: "Wie bereits der Zwischenbericht der Untersuchungskommission zeigt auch der Endbericht auf, dass die Bediensteten der Justiz korrekt, 'gesetzmäßig' und 'sinnvoll' gehandelt haben." Es brauche nun "angesichts des im Kommissionsbericht festgestellten Versagens des Verfassungsschutzes" eine "Neuaufstellung des BVT an Haupt und Gliedern". Kogler forderte "ein unabhängiges, professionelles BVT mit den besten Köpfen und eine echte Kontrolle durch das Parlament, wie das auch überall anders in Europa längst üblich ist". Es müsse durch strukturelle Rahmenbedingungen sichergestellt sein, "dass diese Behörde keine parteipolitische Spielwiese mehr ist. Es geht um nichts weniger als die Sicherheit in diesem Land".

Bereits der kurz vor Weihnachten vorgelegte Zwischenbericht der Zerbes-Kommission hatte schwere Versäumnisse im Umgang mit dem späteren Attentäter aufgezeigt, der am 2. November in der Innenstadt vier Passanten erschossen hat. Nach der vorzeitigen bedingten Entlassung des wegen terroristischer Vereinigung verurteilten Mannes war er gleichermaßen vom Schirm des Verfassungsschutzes wie der Justiz verschwunden. Die Kommunikation zwischen dem BVT und dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) funktionierte nicht. Weder wurden von den Behörden eine Gefährdungseinschätzung des späteren Attentäters noch allfällige Gegenmaßnahmen besprochen, so dass sich der IS-Anhänger Mitte Juli 2020 in Wien mit radikalislamistischen Gleichgesinnten aus Deutschland und der Schweiz treffen und wenig später zu einem versuchten Munitionskauf nach Bratislava begeben konnte, ohne dass zeitnahe das von ihm ausgehende Risiko hochgestuft wurde. Das zu gemächliche Agieren, was das Risikopotenzial des jungen IS-Anhängers betraf, und fehlende Informationsweitergabe, speziell an die Staatsanwaltschaft und übergeordnete Stellen wurden im Abschlussbericht noch deutlicher herausgearbeitet.

Kommunikationsfluss konnte "nicht vollständig nachvollzogen werden"

Demnach wäre die Meldepraxis des BVT an die Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit verbesserungswürdig. Operative Lagebilder bezüglich islamistischem Extremismus und Terrorismus für die Monate Juli bis Oktober 2020 habe man der Kommission nicht vorlegen können. Ein Lagebild zu Foreign Terrorist Fighters, wozu auch der spätere Attentäter zu rechnen war, habe nur bezogen auf 2019 existiert. Aus Sicht der Kommission ergibt sich daraus, dass der Informationsfluss vom BVT zur Generaldirektion für die Öffentliche Sicherheit von 2019 auf 2020 "deutlich verdünnt worden sein muss, obwohl das Phänomen der 'Foreign Terrorist Fighters' und die von diesen ausgehenden Gefahren in diesem Zeitraum keineswegs zurückgegangen sind". Die Kommission bemängelt auch, dass das vom Staatsschutz observierte Islamisten-Treffen in der Bundeshauptstadt offenbar nicht an die Generaldirektion berichtet wurde, obwohl das "über die in Österreich (...) vorliegende Gefahrenlage wohl mehr aussagt (...)."

Insgesamt habe der Kommunikationsfluss Richtung Generaldirektion für die Untersuchungskommission "nicht vollständig nachvollzogen werden" können: "Das, was der Kommission darüber preisgegeben wurde, erscheint verbesserungswürdig, wobei hier die jeweiligen Behördenleiter in besonderer Verantwortung stehen."

Der Informationsfluss zum Innenminister baue auf dem Informationsstand des Generaldirektors für die Öffentliche Sicherheit auf, so die Feststellungen der Zerbes-Kommission. Letzterer berichte dem Kabinettschef und dieser - "inhaltlich weiter verdichtet" - dem Minister. Nach Angaben des Kabinettschefs gebe es dazu keine schriftlichen Unterlagen und komme es zu keinen direkten Meldungen - etwa aus dem BVT - an den Minister. Nachfragen der Kommission, ob abgesehen von der vorgenommen Abschiebung eines radikalislamistischen deutschen Gefährders, die auch dem Generalsekretariat im Innenministerium gemeldet worden war, weitere Einzelinformationen zu terroristischen Gefahren "nach oben gemeldet wurden, wurde nicht abschließend beantwortet", ist dem Abschlussbericht der Untersuchungskommission zu entnehmen.

Die Kommission bemängelt in Bezug auf ein computergestütztes Risikobewertungsprogramm für mögliche terroristische Straftäter einen zu technokratischen, formalistischen Umgang. Die "Ersteinschätzung" beim späteren Attentäter sei erst nach zehn Monaten abgeschlossen gewesen, eine "Zusammenschau" war für Mitte November und somit zwei Wochen nach dem Attentat geplant.

Dass die einzelnen LVT und das BVT nicht in die Daten der grundsätzlich für dieselbe Materien zuständigen Behörden auf Landes- oder Bundesebene Einschau nehmen können, sondern Aktenstücke speziell anfordern müssen, hält die Zerbes-Kommission für problematisch. Dies führe "zwingend zu Verzögerungen". "Noch problematischer" sei eine fehlende Schnittstelle bei Gefährdungseinschätzungen, sodass nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese sich auf einem aktuellen Stand befindet.

Die Zerbes-Kommission macht auch darauf aufmerksam, dass sich bei der Rekonstruktion der Abläufe gezeigt habe, dass die Ausbildung der mit der Risikobewertung betraute Personen "suboptimal gewesen sein dürfte, als manche lieber im praktischen Einsatz auf der Straße arbeiteten. Das könnte zu mangelndem Engagement, Qualitätsproblemen und Verzögerungen bei der Arbeit beigetragen haben". Grundsätzlich habe im BVT - nicht zuletzt aufgrund einer rechtswidrig vorgenommenen Hausdurchsuchung im Jahr 2018, negativer Medienberichte, Anklagen gegen Mitarbeiter und einer "restriktiv gehaltenen Nachbesetzungspolitik" ein zerrüttetes Arbeitsklima geherrscht. "Der Kommission wird von einem Klima des Misstrauens und von unbewältigten Konflikten berichtet", heißt es im Abschlussbericht.

Die Kommission empfiehlt daher eine bessere technische Ausstattung für die Risikobewertung mit einem effizienten Analyse- und Informationsverarbeitungssystem eine gemeinsame, für alle Dienststellen nutzbare einheitliche Datenbank, eine professionalisierte Analysekompetenz und eine klarere Fach- und Dienstaufsicht über die Verfassungsschutzbehörden in den Ländern.

(APA)

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