Serie

Nach Bataclan liegt eine Nation auf der Couch

© Carole Bethuel
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Es ist ein sensibles Kammerspiel – und doch geht es um nichts weniger als ein nationales Trauma: „In Therapie“ läuft auf Arte.

Die Stille. So verschieden sie sind, die Patientinnen und Patienten in der Praxis des Psychoanalytikers Philippe Dayan – eines eint sie: Sie haben die Stille erlebt. Der Polizist Adel, Mitglied einer Eliteeinheit, wurde von ihr überrascht, als er das Lokal Bataclan betrat, an der Seite seiner Kollegen, kurz nach dem Massaker, keiner schrie von denen, die am Boden lagen, keiner rief nach seiner Mutter, wie sonst oft. „Totenstille.“ Nur eines hörte der Polizist: das Klingeln der Handys; besorgte Freunde, Mütter, Väter, Kollegen riefen an, doch niemand nahm ab. Stille, das erwartete auch die Chirurgin Ariane in der Notaufnahme nach den Anschlägen, kein Gewusel, keine Klagen wegen der Wartezeiten, alles schien gedämpft am Beginn ihrer 48-Stunden-Schicht. Und von der Stille erzählt die 16-jährige Profischwimmerin Camille – im Gegensatz zu den vorigen Patienten berichtet sie freilich nicht vom Anschlag und seinen Folgen, sondern von ihrem Unfall mit dem Fahrrad. Da lag sie, im Rettungswagen, und hörte nichts, nicht die Worte der Sanitäter, nicht die Motorengeräusche, nicht einmal das Martinshorn. Der Schock, vermutlich.

Therapie als Kampf

Ein Arzt. Ein Patient. Und das, was zwischen den beiden passiert. So lautet das Konzept der von Éric Toledano und Olivier Nakache („Ziemlich beste Freunde“) inszenierten Serie, die derzeit auf Arte läuft. Nie stehen mehr als drei Personen gleichzeitig vor der Kamera, und drei sind es nur deshalb manchmal, weil Philippe (Frédéric Pierrot) auch ein Paar behandelt. So werden wir Zeugen eines intimen Prozesses, aus dem wir sonst ausgeschlossen sind, ausgeschlossen bleiben müssen: Wir sehen, wie Adel langsam seine forsche Art ablegt, nicht mehr jede Frage zu seinem Befinden zurückweist nach dem Motto: Ich bin Polizist, das ist mein Beruf, da heule ich nicht herum. Und wie die 16-jährige Camille zu vergessen beginnt, dass sie ja eigentlich in die Therapie nur eingewilligt hat, weil sie ein Gutachten für die Versicherung braucht.

Überraschend ruppig geht es da übrigens zu, da nennt Adel den Arzt schon einmal einen Kindskopf und der Mann des Paares scheint kurz davor zu sein, handgreiflich zu werden– und vielleicht ist dies der einzige Kritikpunkt an dieser Serie: Zu sehr ist die Beziehung Arzt-Patient hier als Kampf inszeniert. Wohl aus dramaturgischen Gründen, als wäre das, was sich in einer Therapie abspielt, nicht auch so spannend genug.

Der Analytiker ist ein Antiheld

Wobei: Wohlwollend betrachtet mag auch das Sinn ergeben. Dann wäre die Tatsache, dass permanent verbal gerauft und gerungen wird, ein Zeichen. Dafür, dass die Therapie manchmal aus dem Ruder läuft, dass Philippe die Kontrolle verliert, sich verzettelt. Denn es sind nicht nur die fünf Patienten, die verstört sind: Auch der Therapeut selbst weiß nicht mehr ein noch aus, alles stellt er infrage, seit er nach einem Streit mit seiner Frau zu viel getrunken und den Anschlag verschlafen hat. Und dann wachte er auf, und alles war anders. Geht das noch? Die Welt aussperren aus seiner Praxis im 11. Arrondissement, eine Atmosphäre der Sicherheit zu schaffen, damit die Patienten sich öffnen können? Kann man so tun, als gäbe es sie nicht, die Gefahr, die Gewalt rundherum? Und so wendet er sich an eine alte Freundin, Psychoanalytikern auch sie. Und seine ehemalige Geliebte? Jedenfalls geht sie ihm nicht so leicht auf den Leim. Langsam arbeitet sie heraus, warum er sich gar so sehr ins Leben seiner Patientinnen und Patienten verwickeln lässt. Und an diesem Punkt entwickelt das Kammerspiel auch seine komische Seite. Der Analytiker, er ist – zu unserem Vergnügen – ein Antiheld.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2021)

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