ÖBB-Chef: "Wir können so nicht weitermachen"

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oeBBChef koennen nicht weitermachen(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Verkehr. Bahn-Chef Kern bezeichnet die Lage als sehr ernst. Für das Gesamtjahr wird trotz milliardenschwerer Subventionen ein dreistelliges Minus erwartet. Bis 2015 sollen 500 Millionen Euro eingespart werden.

Wien (jaz). Es war ein Auftritt, der ein wenig an Hugo-Michael Sekyras berühmte Rede vor der Voest-Belegschaft im Jahr 1987 erinnerte. Damals ließ er die Stahlarbeiter wissen: „Glauben Sie mir, wir sind pleite.“ Am Freitagvormittag trat der Anfang Juni angetretene ÖBB-Chef Christian Kern erstmals vor eine breite Öffentlichkeit und sprach Tatsachen mit einer Offenheit aus, wie sie in den vergangenen Jahren nicht zu hören waren. Die Lage der ÖBB sei ernst, so Kern. Für das Gesamtjahr wird trotz milliardenschwerer Subventionen ein dreistelliges Minus erwartet. Die aufgrund der Wirtschaftskrise angeschlagene Güterverkehrstochter RCA stehe sogar „auf der Kippe“. „So wie wir bisher gearbeitet haben, können wir daher nicht mehr weitermachen“, meint Kern.

Bisher hätten Planungen vor allem auf „zu optimistischen Annahmen“ beruht. Sparpakete seien „Papiertiger“ gewesen.„Ich habe gewusst, dass das eine große Aufgabe wird. Aber es mangelt sogar an Grundsätzlichem wie einer ordentlichen Kostenrechnung. Wir wissen nicht einmal, wo wir wirklich Geld verdienen.“

Kern will das in den kommenden Jahren ändern. Bis 2015 sollen Kosten in Höhe von 500 Mio. Euro eingespart werden. Bisher gibt es aber erst für einen kleineren Teil dieser Sparmaßnahmen konkrete Konzepte (etwa im Einkauf). Die Bahn soll dann auf einem Gewinnniveau von rund 200 Mio. Euro sein, das den „Substanzerhalt“ ermöglicht. An den jährlichen Kosten des „Systems ÖBB“ für die Steuerzahler (je rund zwei Mrd. Euro für den laufenden Betrieb und den Ausbau der Infrastruktur sowie 1,7 Mrd. Euro für Bahn-Pensionisten) wird das jedoch nichts ändern.

„Absurditäten müssen abgestellt werden“

Ein Hauptproblem der Bahn ist laut Kern die ineffiziente Struktur. Als Beispiel nennt er ein kürzlich besuchtes Betriebsgelände, dessen 1000 Quadratmeter große Grünfläche von drei verschiedenen Konzerntöchtern betreut wird. „Am Montag kommt ein Mitarbeiter und mäht rund ums Haus. Am Dienstag reißt einer die Pflanzen entlang der Gleise aus. Und am Donnerstag kümmert sich ein dritter um die restliche Fläche. Solche Absurditäten müssen abgestellt werden“, so Kern.

Künftig sollen viele Bereiche wieder zentral organisiert werden. Auch das Personal müsse flexibler eingesetzt werden. Bisher ist dies jedoch in der Regel am Widerstand des Betriebsrats gescheitert. Dazu meint Kern: „Die Zahlen sind so eindeutig, dass sich jeder, der sich heute Reformschritten verweigert, künftig fragen lassen muss, welche Verantwortung er hat.“

Mehr „Verantwortung“ wünscht er sich auch von der Politik. „Es gibt keine rote und keine schwarze Infrastruktur“, meint der SPÖ-nahe Manager zu dem parteipolitischen Hickhack, in dessen Zentrum die ÖBB regelmäßig stehen. Für die nächsten drei Jahre wünsche er sich keine politischen Zwischenrufe mehr. Eine Hoffnung, die bereits am Freitag von roten und schwarzen Parteisekretariaten zerstört wird.

Zu guter Letzt lobt Kern noch – wie in allen Managementseminaren empfohlen – das hohe Engagement der ÖBB-Mitarbeiter und beschwört die Leistungskraft der Bahn: „Es ist ein weiter Weg. Die Lage ist aber nicht aussichtslos.“

Groß sind die zu bewältigenden Aufgaben der ÖBB aber auf jeden Fall. Nachfolgend die wichtigsten „Baustellen“ der heimischen Staatsbahn:

Personal. Die Personalkosten sind bei den ÖBB mit 43 Prozent aller Aufwendungen der größte Kostenblock. Von den 45.000 Mitarbeitern sind etwa zwei Drittel unkündbar. Zudem gibt es auch einen „informellen“ Versetzungsschutz. Offiziell darf versetzt werden, vom Betriebsrat wurde das bislang jedoch meist verhindert. Kern sieht das Personalthema daher als „Schlüssel“ an. Eine höhere Flexibilität im Einsatz der Mitarbeiter soll mit dem Betriebsrat in den kommenden Wochen ausverhandelt werden.

Zudem sollen in den kommenden drei Jahren mit 1000 Mitarbeitern rund 20 Prozent aller Verwaltungsjobs abgebaut werden. Die Mitarbeiter sollen stattdessen in „kundennahen“ Bereichen eingesetzt werden. Auch die Zahl der Führungskräfte soll um 100 sinken. Auf betriebsbedingte Kündigungen will Kern ab dem Jahr 2011 verzichten. Das zuletzt stark kritisierte durchschnittliche Pensionsantrittsalter von 52 Jahren soll dadurch sukzessive steigen. Die Bahn erwartet deshalb bis 2015 zusätzliche Personalkosten in Höhe von 123 Mio. Euro, die anderweitig wieder eingespart werden müssen.

Bei der aktuellen Lohnrunde ist laut Kern nur ein „maßvoller“ Abschluss möglich. Was das genau bedeutet, wollte er im Hinblick auf die laufenden Verhandlungen aber nicht sagen. Für die ebenfalls geforderten Einsparungen bei bereits pensionierten Eisenbahnern sieht sich der Bahn-Chef jedoch nicht zuständig. Das müsse die Regierung über Gesetze regeln.

Güterverkehr. Die Güterverkehrssparte RCA ist das aktuelle Sorgenkind der ÖBB. Dort wurden in den vergangenen drei Jahren 650 Mio. Euro an Eigenkapital „vernichtet“, sagt Kern. Vor allem die 2008 um 400 Mio. Euro gekaufte ungarische Güterbahn bereitet große Verluste, zudem drohen saftige Abschreibungen wegen verringerter künftiger Ertragschancen (Impairment). Ein Grund dafür sind die plötzlich erhöhten Tarife der ungarischen Schienenmaut. Kern will daher Druck auf die ungarische Regierung machen. „Wenn sie ihren Kurs nicht ändert, steht eine radikale Redimensionierung der ungarischen Güterbahn auf maximal die Hälfte an“, droht er. Golden-Handshake-Programme für die ungarischen Mitarbeiter sollen in jedem Fall eingeführt werden.

Aber auch in Österreich stehen Teile der RCA auf dem Prüfstand. Viele Angebote (etwa Transporte für die Holz- oder Agrarindustrie) hätten eine Kostendeckung „von gerade einmal 30 bis 40 Prozent“. Sollte man hier keine Preiserhöhungen durchsetzen können, werde man diese Angebote einstellen, so Kern. „Auch wenn das dann der heimischen Verkehrspolitik (Verlagerung auf die Schiene, Anm.) widerspricht.“

Infrastruktur. Bei der Infrastruktur wird sich an der geplanten Neuverschuldung von rund zwei Mrd. Euro pro Jahr nichts ändern. Das Geld muss über langjährige Zahlungen oder einmalige Entschuldungen größtenteils vom Bund zurückgezahlt werden. Großprojekte wie Koralm- und Brennertunnel unterstützt Kern, sofern es dafür eine fixe Finanzierungszusage der Politik gibt.


Personenverkehr. Im Personenverkehr können zwar noch Gewinne geschrieben werden – dank des hohen Anteils an staatlichen Zahlungen. Ab 2011 gibt es jedoch auch hier auf der wichtigen Westbahn Konkurrenz. Kern freut sich zwar auf die „Konfrontation mit Haselsteiner“. Die ÖBB dürften dadurch jedoch Marktanteile auf der wichtigen – weil lukrativen – Fernverkehrsstrecke verlieren. Zudem braucht die Bahn 200 Mio. Euro für die letzten 16 Railjet-Garnituren. Woher das Geld kommen soll, ist noch unklar.

MeinungSeite 33

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2010)

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