Grenzkonflikt

Wartezeiten und fehlende Autoteile: Deutschlands verschärfte Einreise zerreißt Lieferketten

Snow and sun in southern Bavaria
Snow and sun in southern Bavaria Karl-Josef Hildenbrand/picturedesk.com
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Brüssel und Wirtschaftsvertreter warnen vor negativen Auswirkungen der am Wochenende ohne Vorwarnung eingeführten Einreisebeschränkungen durch Berlin.

Die Entscheidung der deutschen Regierung, sogar Lkw-Fahrer in die neuen Corona-Einreisebeschränkungen einzubeziehen, droht in den nächsten Tagen Lieferengpässe auszulösen. Insbesondere in der Autozulieferindustrie wird mit Problemen gerechnet. Sogar vorübergehende Werksschließungen werden nicht ausgeschlossen.

Für die EU-Kommission wie für Wirtschaftsvertreter wiegt schwer, dass damit erstmals ein Eingriff in den freien Warenverkehr vorgenommen wurde. Alexander Klacska, Obmann der Bundessparte Transport und Verkehr in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), sieht durch die Einreisebeschränkungen einen „Widerspruch zum europäischen Gedanken des freien Warenverkehrs“. Er verweist auf den Bruch der von Brüssel im vergangenen Jahr durchgesetzten Schutzmaßnahmen für den Güterverkehr.

Auch die heimische Interessensvertretung der Logistik- und Speditionsbranche warnt vor einer Eskalation. Die nationalen Einreisebeschränkungen könnten verheerende Auswirkungen auf die Lieferketten haben, warnt Alexander Friesz, Präsident des Zentralverbands Spedition & Logistik.

Keine Testmöglichkeiten an der Grenze

Aktuell muss jeder Lkw-Fahrer, der die Grenze nach Deutschland passiert, einen negativen Covidtest einer anerkannten Behörde vorlegen. Testmöglichkeiten an der Grenze gibt es derzeit keine. Damit wird die seit März vergangenen Jahres geltende EU-Regelung der „Green Lanes“ außer Kraft gesetzt. Die EU-Kommission hatte zum Schutz des Binnenmarkts verordnet, neben den verstärkten Personenkontrollen eine schnelle Abfertigungsspur für Warentransporte einzurichten. Der Aufenthalt an der Grenze sollte nicht länger als 15 Minuten dauern. Eine Vorgabe, die angesichts von Kontrollen jedes einzelnen Covidtests und der Überprüfung, ob sich jeder Lkw-Fahrer online angemeldet hat, nicht mehr zu halten ist.

Dazu kommen praktische Probleme, weil viele Fahrer nicht direkt aus ihrem Heimatland einreisen und an den Transitstrecken nach Teststationen suchen müssen. Zumindest für Berufspendler hat Bayerns Ministerpräsident, Markus Söder (CSU), am Wochenende Nachbesserungen vorgenommen. Nun können sie mit Vorweis eines Arbeitsvertrags die Grenze passieren.

Bei den deutschen Autoherstellern blieb das befürchtete Chaos – zumindest vorerst – aus. Die Sorge vor schwerwiegenden Folgen, wie etwa einem völligen Produktionsstillstand, bleibt aber bestehen, weil in der Autoindustrie just in time direkt ans Montageband geliefert wird. Die benötigten Teile liegen also nicht im Lager, sondern werden je nach Bedarf angeliefert und sofort verbaut. Viele dieser Teile kommen von Zulieferunternehmen aus Österreich. Wenn es nun aufgrund der Test- und Anmeldepflicht an den Grenzen zu Staus oder zu Verzögerungen kommt, reißt diese Lieferkette ab und in der Folge steht die ganze Produktion wegen der fehlenden Teile still.

Einschränkungen ohne Vorwarnzeit

„Noch gibt es an unseren Standorten keine Einschränkungen“, erklärte ein Konzernsprecher von VW Montagmittag. „Stand heute laufen alle unsere deutschen Standorte, auch die in Sachsen.“ Man habe versucht, sich bestmöglich auf die Situation vorzubereiten. Auch die bayerischen Autobauer BMW und Audi verzeichneten am Montag keine größeren Probleme durch die Grenzkontrollen. „Unsere Werke sind derzeit versorgt und produzieren planmäßig“, hieß es von BMW. Ein Audi-Sprecher erklärte: „Wir produzieren aktuell ohne Einschränkungen, beobachten aber die weitere Entwicklung.“

Wie es in den kommenden Tagen weitergeht, ist unklar. Der deutsche Verband der Autoindustrie (VDA) fürchtet, dass die Lieferkette früher oder später abreißen oder es zumindest zu Verzögerungen kommen wird. Die deutsche Autoindustrie habe sich diesmal nicht vorbereiten können – im Gegensatz zum Frühjahr 2020, als die Unternehmen eine „Vorwarnzeit“ von zwei bis drei Wochen gehabt hätten. Damals habe man die Lager füllen können, diesmal sei die Einführung von Grenzschließungen kurzfristiger umgesetzt worden.

Covid schränkt den Binnenmarkt ein

Die Grenzschließungen drohen den bereits eingeschränkten Warenverkehr in der EU weiter zu reduzieren. Das Ausmaß der Verwüstung, das Corona ausgelöst hat, spiegelt sich bereits in den Handelsstatistiken wider. Am gestrigen Montag legte die EU-Statistikbehörde Eurostat ihre Bilanz für das abgelaufene Jahr vor: Demnach ging das Handelsvolumen innerhalb der EU im Vergleich zum Jahr davor um 7,5 Prozent auf insgesamt 2,84 Billionen Euro zurück. Im Vergleich zum Handel mit Drittstaaten, der 2020 um 9,4 Prozent bei den Exporten aus und um 11,6 Prozent bei den Importen in die EU geschrumpft ist, fällt das Minus allerdings vergleichsweise bescheiden aus.

Das hat primär mit den engen ökonomischen Banden zu tun, die seit der Etablierung des EU-Binnenmarkts geknüpft worden sind. Nicht umsonst gilt die EU als die wirtschaftlich am stärksten vernetzte Region der Welt. Im jüngsten KOF-Index der Globalisierung, der von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich seit den 1970er-Jahren ermittelt wird, belegen Teilnehmer des Binnenmarkts (inkl. Schweiz, Norwegen und Großbritannien, dessen Post-Brexit-Übergangsfrist am 31. Dezember 2020 abgelaufen ist) die ersten 14 der insgesamt 203 Plätze.

Ein detaillierter Blick auf die Handelszahlen zeigt, dass die erste Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 die EU besonders hart getroffen hat. Nach einem Tiefpunkt im April (mit einem Handelsvolumen von 173,3 Mrd., nach 260,6 Mrd. Euro im Jänner) ging es mit dem Handel bis November (255,5 Mrd.) sukzessive bergauf. Im Dezember, als die zweite Welle die EU erfasst hat, stagnierte das Handelsvolumen bei 254,8 Mrd. Euro. Nun droht allerdings ein neuer Einbruch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2021)

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