In Ruhe warten

Zeit im Raum: Das Design des Wartens

Der Designer Peter Döllmann weiß, was Wartende wollen: vor allem in Ruhe gelassen werden.

Wartende Menschen sind seltsame Wesen. Denn irgendwie sind sie nicht sie selbst, wenn sie warten. Als hätten sie in einen anderen Modus geschaltet. „Zurückgezogen in die eigene Höhle“, so beschreibt es der Designer Peter Döllmann. Es wirkt, als würden die Wartenden am liebsten ganz aus jenem Raum schlüpfen, in dem die Zeit gar so wenig Andeutungen macht, tatsächlich zu vergehen. Das Schlupfloch aus dem Wartezimmer ist für viele heute ohnehin das Smartphone. Jenseits des Displays, im virtuellen Raum, dort findet das Warten statt. Doch sitzen, stehen und nervös auf die Uhr schauen muss man trotzdem irgendwo. Und um genau diese Räume kümmert sich etwa auch Peter Döllmann als Designer. Ziemlich viele Wartende hat er schon beobachtet, um zu verstehen, was sie brauchen. Privatheit etwa – auch in aller Öffentlichkeit. Deshalb stecken die Menschen beim Warten auch gern ihre Territorien ab – vor allem wenn sie schon die Ersten am Flughafen-Gate sind. Und: Warten ist die Pausetaste für den Flow der sozialen Interaktionen, zumindest für die analogen – Kontakte zu anderen Wartenden eher unerwünscht.

Warten könne man ganz unterschiedlich inszenieren, meint Döllmann. Fast gar nicht zum Beispiel. Wenn man einfach so stehen gelassen wird – manchmal sogar im Regen. Dann klammert man sich an jedes kleinste Signal, dass hier eventuell doch schon eimal ein Bus vorbeigekommen ist. Wie man jemanden warten lässt, sei natürlich eine Haltungsfrage, meint Döllmann. Und deshalb kann man diese seltsame Phase, in der die nächste Phase gerade noch nicht begonnen hat, auch gestalterisch hochstilisieren. Wenn etwa das Warten zum Loungen wird.

Warteräume

Wie in jenen Bereichen, die man sich als Zugreisender mit einem Erste-Klasse-Ticket erkaufen kann. Für die ÖBB hat Peter Döllmann ein modulares Konzept der First Class Lounge entwickelt. Es schmiegt sich in unterschiedlichste räumliche Bedingungen, ein paar Quadratmeter am Wiener Hauptbahnhof überzieht es auch. Dort überlegte sich der Designer, wie er Menschen zusammenbringt, die nicht zusammen sein würden, wäre der Zug schon gekommen. Und damit sich die persönlichen territorialen Ansprüche nicht in die Quere kommen, hat er sie zum Großteil auf ein großes Sofa verteilt. „Dazu kommen ein paar mobile Beistelltische für Laptops“, erzählt Döllmann. Das ermöglicht Dichte ganz ohne Enge. Und vermeidet noch etwas: Dass sich die Wartenden allzu sehr exponieren müssen. Oder in andere Verlegenheiten geraten wie etwa Face-to-Face-Interaktion. Will man nicht. Ist ja Warte-, nicht Begegnungszone. „Es ist ein Übergangsort, gleichzeitig ein eigenartiger Zwischenzustand, der auch recht eigenartige Verhaltensweisen triggert“, sagt Döllmann. Dazu gehört auch die umständliche Blickvermeidung, wie man sie von schweigsamen Liftfahrten kennt. „Schließlich ist es ultimativ unhöflich, jemanden anzustarren.“

Irgendwohin schauen muss man aber trotzdem. Das Handy ist natürlich eine der Exit-Strategien. Oder man nimmt eines der Angebote, das der Designer den Augen macht, an: An der Wand der Lounge simulieren Screens eine Landschaft, die an einem vorbeirollt. Ganz sanft ist man also schon in Bewegung, bevor sich der Zug noch eingequietscht hat. Auch die Möblierung will etwas mitteilen: Mach es dir so bequem, wie es ein undefinierter Zwischenzustand eben erfordert. „Allein durch die Polsterung, Armlehnen und die Art des Sitzens kann man gut die ‚Verharrungszeiten‘ steuern“, erklärt Döllmann. Beim First-Class-Warten darf man sich ruhig ein wenig zurücklehnen. Beim Warten „zweiter Klasse“, auf den Flächen draußen, die man früher Bahnhof nannte, sagt die Architektur eher: Geh doch noch eine Runde und kauf dir was. Schließlich sind wir Shoppingcenter mit Gleisanschluss. Wer sitzt, bringt keinen Umsatz. Besonders Flughäfen beherzigen gern diesen Designansatz. In der heilen Wartewelt dagegen steuert auch das Sitzlayout, wie sich der Raum mit Wartenden füllt. „Zuerst sind jene Plätze dran, wo der Rücken gut geschützt ist und man trotzdem einen guten Überblick hat“, sagt Döllmann. Evolutionspsychologen würden das einstimmig abnicken. Aber auch der Designer hat meistens recht, wenn er in seinem Büro mit Mitarbeitern darauf wettet, wo sich die Menschen zuerst hinsetzen werden.

Ordination Trattnerhof
Ordination Trattnerhof(c) Katharina Roßboth


In der Bahnhofshalle finden die Reisenden zumindest ein paar Hinweise auf das, was gerade eintrudelt, sich verspätet oder vielleicht doch noch abfährt. Schon solche Zeichen seien die ersten Schritte zum Wartekomfort, weiß Döllmann. „Wie etwa auch Straßenbahnschienen im öffentlichen Raum schon erste Gewissheit geben, dass hier tatsächlich etwas fährt. So ähnlich, wie wenn man auf einen Fluss in der Landschaft trifft.“ Unsicherheiten gestalterisch auflösen, auch das gehört eben zu den Designaufgaben. An der Straßenbahnhaltestelle genauso wie am Flughafen. Und natürlich: im Wartezimmer des Arztes. „Viele Patienten kommen ängstlich und aufgeregt an, wissen nicht, was sie erwartet“, sagt Döllmann, der mit seinen Entwürfen schon einige Ordinationen und Wartebereiche atmosphärisch beruhigt, entspannt und „runtergekühlt“ hat. Am besten aber nicht auf allzu „klinisch“. „Obwohl das natürlich semantisch einen hohen medizinischen Anspruch vermittelt.“

Patienten wünschen sich aber eher ein wohnlicheres Ambiente. Zu viele Bedeutungen sollte man trotzdem nicht in den Raum legen, „ihn lieber semantisch offenlassen“. Sodass sich auch möglichst viele Menschen wiederfinden oder zumindest nicht ausgegrenzt fühlen. Das Warten und wie man warten lässt erzähle jedenfalls von einer Grundhaltung: „Wenn die Zeit der Wartenden etwa weniger wert wird als die Zeit jener, die warten lassen“, sagt Döllmann. Noch vor der Behandlung wird man behandelt, gleichwertig oder von oben herab: Vom Raum, in dem man um Arztaudienz bittet. „Die Arzt-Patienten-Kommunikation beginnt ja schon am Eingang, beim Reinkommen in die Praxis, lang bevor der Arzt das erste Wort gesagt hat“, sagt Döllmann. Und was die Patienten den Mitarbeitern bei der Anmeldung so mitteilen, das müssten auch nicht alle hören: „Wichtig ist es, den Bereich vom Warten akustisch zu trennen, allein aus rechtlichen Gründen der DSGVO.“ 

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