Macht der Berührung

Warum wir körperliche Nähe für ein gesundes Leben brauchen

Umarmen, Händeschütteln, an der Schulter berühren. Seit einem Jahr ist für viele der Körperkontakt eingeschränkt. Doch das Bedürfnis nach Nähe begleitet uns ein Leben lang. Warum wir Berührungen so vermissen, wenn sie plötzlich ausbleiben - und warum sie so wichtig für uns sind.

Jeglicher Druck löst sich, die kleinen Sorgen des Alltags sind für den Moment vergessen, das Rundherum ausgeblendet. Man spürt die Wärme und den Herzschlag des anderen, fühlt sich geborgen, auf gewisse Weise auch geschützt. Eine Umarmung löst ein Gefühl der Ruhe aus, eine innere, tiefe Geborgenheit. Viktoria Tatschl und Philipp Tronhauser sind seit bald acht Jahren ein Paar. Körperliche Nähe war in ihrer Beziehung immer schon wichtig, erzählen sie. „Aber bis vor ein paar Monaten haben wir sie eigentlich doch als selbstverständlich angesehen. Plötzlich ist sie etwas ganz Besonderes, etwas, das wir noch bewusster und dankbarer wahrnehmen als davor."

Was die beiden noch mehr schätzen als bisher, bleibt anderen gerade verwehrt. Und weil wir bestimmten Dingen ihren Wert erst in deren Absenz beimessen, sehnen wir uns nach ihr: der menschlichen Berührung. Sei es die Umarmung zur Begrüßung, eine aufbauende Berührung an der Schulter, die entspannende Massage nach einem langen Arbeitstag, die Tanzstunde, in der man sich aus den Armen eines Tanzpartners in die des nächsten fallen lässt oder das Händeschütteln als erster Kontakt zwischen Unbekannten. In unserem Alltag interagieren wir auch über Berührungen. Zeiten, in denen sie ausbleiben und sich alltägliche Selbstverständlichkeiten grundlegend verschieben, gehen nicht spurlos an uns vorbei. Denn der (Körper-)Kontakt zu anderen ist, sofern von beiden Seiten gewünscht, ein Grundbedürfnis des Menschen, erklärt Martin Grunwald, Leiter des Haptiklabors an der Universität Leipzig und Autor des Buches „Homo hapticus: Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können“: „Als Säugetiere sind wir soziale Lebewesen, wir wollen nicht allein sein. Wir brauchen den anderen, das gehört zum seelischen und körperlichen Gleichgewicht dazu.“

„Hier ist nicht die Rede von sexuellen Bedürfnissen“, stellt er vorab klar. „Der Körperkontakt als Grundbedürfnis ist völlig losgelöst von sexuellen Bedürfnissen. Körperkontakt kann den Weg bereiten für sexuelle Motive, ist aber keine unmittelbare Voraussetzung.“

»»Wir brauchen einander für unser seelisches und körperliches Gleichgewicht.««

Martin Grunwald

Bedürfnis nach Nähe

Doch über den Bedarf in dieser Hinsicht werde in unserer Gesellschaft kaum gesprochen: „Obwohl das ein Grundbedürfnis wie nach Wasser und Nahrung ist, ist es viel zu wenig im Bewusstsein der Bevölkerung. Über das Gefühl, sich ,unterkuschelt‘, zu wenig gedrückt und umarmt zu fühlen, wer reflektiert denn schon über diesen Bedarf? Philipp Tronhauser etwa. „Meine Beziehung wäre für mich ohne innigen Körperkontakt unvorstellbar. Umarmungen oder Kuscheln, das gehört für mich zu den wichtigsten Punkten. Das ist für mich wichtiger als Sex“, sagt er. Nähe sei in seiner Familie immer schon wichtig gewesen, das Kuscheln ein Grundbedürfnis seit der Kindheit. Doch: „Wenn man älter wird, wird es schwieriger. Vor allem als (Single-)Mann ist es oft schwierig, Körperkontakt zu bekommen. Wenn man als Junge in einer ländlichen Region aufwächst“, spricht der ursprüngliche Kärntner, genauer Wolfsberger, aus Erfahrung, „wird Körperkontakt in der Öffentlichkeit oft so ein bisschen belächelt“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.