Anleitung für Provokateure

Auf das Timing des Tabubruchs und die Empörungsbereitschaft kommt es an. Warum ein irrer Provinzpastor die halbe Welt in Atem halten kann, weil er den Koran verbrennen will.

Pastor Terry Jones ist offensichtlich kein begnadeter Prediger. Seine Gemeinde in Gainesville, Florida, zählt nicht mehr als 50 Gläubige. Dennoch schaffte es der Mann mit dem Kaiser-Wilhelm-Bart, binnen weniger Tage weltberühmt zu werden. Er kündigte nämlich an, den Koran öffentlich zu verbrennen. So etwas spricht sich schnell herum.

Auf einmal pflanzten TV-Sender ihre Parabolschüsseln auf dem Rasen vor dem Provinzgotteshaus auf. Aus der Schnapsidee eines Verwirrten wurde eine Staatsaffäre. Ein General, ein Minister und sogar der Präsident der USA schalteten sich ein, um vor den Folgen der idiotischen Barbecue-Veranstaltung zu warnen: vor einem Aufruhr der islamischen Welt. In Afghanistan marschierten schon erste Demonstranten und verbrannten US-Flaggen, sie marschierten zur Sicherheit auch noch weiter, nachdem Jones die Koran-Verbrennung abgeblasen hatte.

Ein Provokateur hat es in diesen Tagen nicht schwer. Er sucht sich ein Tabu, bricht es brachial, und schon hat er maximale Aufmerksamkeit, selbst wenn er aus einem Kaff wie Gainesville kommt. Sobald ein gewisser Empörungsgrad erreicht ist, lässt sich das Thema nicht mehr ignorieren. Alle Medien ziehen dann mit. Hilfreich bei der Inszenierung ist es, einen Zeitpunkt mit hohem Symbolwert zu wählen. Pastor Jones zeigte Sinn fürs Timing: Er wollte den Koran am Jahrestag der radikal-islamistischen Terroranschläge vom 11. September anzünden.


Rhetorische Splitterbomben. Entstehen können derlei Skandale nur, wenn sich irgendwer darüber aufregt. Mit Nackten auf Theaterbühnen funktioniert das nicht mehr so recht. Zumindest nicht mehr in der westlichen Welt. Wer wie Terry Jones den Islam beleidigt, dem sind wütende Proteste sicher.

Das wissen wir, seit die halbe islamische Welt auf die Barrikaden gegangen ist, weil eine dänische Zeitung Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hat. Auf souveränes Selbstbewusstsein lassen solche Reaktionsformen nicht schließen, aber das ist ein anderes Kapitel. Volle Wirkung entfaltet der Tabubruch nur, wenn er undifferenziert wie eine rhetorische Splitterbombe einschlägt. Der Sprengstoff des Provokateurs ist aus Pauschalurteilen gemacht, die sich gegen ganze Bevölkerungsgruppen richten: gegen Ausländer, Schwule, Dicke, Juden, Moslems, Christen. Nach ihren Ausbrüchen lieben es die Diskurs-Rowdys, sich in die Pose des Verfolgten zu werfen, der unangenehme Wahrheiten verkündet. „Das wird man ja noch sagen dürfen“, ist ihr Schlachtruf. Sie prusten die unappetitlichen unzerkauten Denkreste heraus, die andere aus gutem Grund nur hinter vorgehaltener Hand wispern. Dieser Druckausgleich bringt ihnen Zuspruch.

Provokateure behaupten gern, Diskussionen anstoßen zu wollen. Debattiert wird dann doch nur über die Form ihrer Beiträge, nie über den Inhalt. Die Provokation bleibt meist ein Strohfeuer, an dem sich Profilierungsneurotiker wie Pastor Jones selbst wärmen. Sonst bringt der Aufregungszirkus niemandem etwas, außer schlechte Unterhaltung.



christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2010)

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