Corona-Impfung

Soll man Patentschutz bei Covid-Impfstoffen lockern?

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GERMANY-HEALTH-VIRUS-VACCINEAPA/AFP/THOMAS KIENZLE
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Experten fordern, dass bei Lieferengpässen Impfstoffe auch durch andere Firmen hergestellt werden sollen - etwa durch Zwangslizenzierungen. Immerhin habe die öffentliche Hand einen Großteil der Forschung bezahlt.

Die öffentliche Hand haben den Großteil der Covid-19 Impfstoff Forschung gezahlt, um die Seren dann teuer zu kaufen und zu warten, bis die Privatfirmen genug davon liefern können, kritisierten Experten Mittwoch vor Journalisten. Sie forderten, dass der Patentschutz in Krisen wie der Covid-19 Pandemie gelockert wird und die Impfstoffe weltweit gerechter verteilt werden. Damit könne man die globalen Todeszahlen durch das Coronavirus halbieren.

Auch Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde am Kepler Uniklinikum Linz, kann sich eine Lockerung bei Lieferengpässen vorstellen. "Im Hinblick auf Impfungen ist dies natürlich prinzipiell zu begrüßen, wenn möglichst rasch relativ viel Impfstoff zur Verfügung steht", sagte er am Mittwoch.

Auch wenn er als Arzt nicht beurteilen könne, welche Folgen dies für andere Bereiche haben könnte, "wenn der Patenschutz hier angeknabbert wird", sei der Wunsch auch medizinischer Sicht, "möglichst rasch eine hohe Durchimpfung und damit eine Immunität der Bevölkerung zu erreichen, mehr als nachvollziehbar".

Claudia Wild vom Austrian Institute for Health Technology Assessment hatte in einer Online-Pressekonferenz in Wien gemeint, "Zwangslizenzierungen" für patentgeschützte Medikamente seinen in einer Pandemie zum Schutz der öffentlichen Gesundheit möglich. "Die Covid-19 Krise führt uns vor Augen, welche gravierenden Systemfehler wir über die vergangenen Jahrzehnte zugelassen haben", sagte Wild. Noch nie in der Geschichte habe die öffentliche Hand so viel Geld in so kurzer Zeit in die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gesteckt. Bei einer internationalen "Geber-Konferenz" im Mai 2020 kamen von 50 spendablen Ländern 7,6 Milliarden Euro zusammen. Österreich sagte dabei 31 Millionen zu.

Von diesem Geld bekamen unter anderem die Hersteller der aktuell in der EU zugelassenen SARS-CoV-2 Impfstoffe AstraZeneca 7,6 Milliarden, Pfizer-BioNtech 420 Millionen und Moderna 680 Millionen, berichtete Wild. Der US-Hersteller Johnson & Johnson, der über eine Tochterfirma am Montag einen Zulassungsantrag bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur stellte, wurde mit 700 Millionen gesponsert.

Zwei Drittel aus öffentlicher Hand, Gewinn privatisiert

Zusätzlich minimierten Kaufvereinbarungen vorab, als noch niemand wusste, wie gut die Impfstoffe wirken können, die Risiken für die Hersteller, so die Sozialmedizinerin. Außerdem sein in den Jahrzehnten zuvor nicht bestimmbare Summen in die Grundlagenforschung eingeflossen, auf die jene Firmen aufbauen konnten. Insgesamt stammen laut Studien zwei Drittel der Forschungs-und Entwicklungsgelder aus öffentlicher Hand. Der Gewinn sei aber fast ausschließlich privatisiert. Wenn Probleme auftreten, wie die aktuellen Lieferengpässe bei den Herstellern, schade dies vor allem der Öffentlichkeit.

Es gäbe eine Reihe von Forderungen, wie man die Situation für die Bevölkerung verbessern könnte, und sie werden unter anderem von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sowie NGOs (Nichtregierungsorganisationen) wie Ärzte ohne Grenzen und die europäische Konsumentenorganisation (BEUC) unterstützt, erklärte Wild.

„Flexiblen" Patentschutz

Es wäre zum Beispiel möglich, bei Lieferengpässen und in Notfallsituationen wie der Pandemie den Patentschutz zu "flexibilisieren". Laut dem internationalen "Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums" (TRIPS-Abkommen) wären "Zwangslizenzierungen" auch für patentgeschützte Medikamente zum Schutz der öffentlichen Gesundheit gangbar. Das bedeutet, dass ein anderer Hersteller das Produkt zu festgelegten Lizenzgebühren an den Patenthalter herstellen kann. "Einige Länder wie Deutschland und Kanada haben bereits Maßnahmen gesetzt, um dies zu erleichtern", so Wild.

Indien und Südafrika fordern ausdrücklich eine temporäre Aufhebung der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS Waiver) an SARS-CoV-2 Vakzinen, sagte Werner Raza von der österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE). Dies würde aber am Widerstand einkommenstarker Länder aus der EU und der USA scheitern. "Die Politik darf jetzt aber keine Zeit mehr verlieren, Patente aufzuheben, und Impfstoffproduzenten zu Technologietransfer zu bewegen, zumal die Entwicklung mit Milliardenbeträgen gefördert wurde", erklärte er. Jeder Tag Verzögerung brächte mehr Tote und ein erhöhtes Risiko für Mutationen beim Virus.

Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) war ursprünglich geplant, dass die Hersteller ihr Wissen teilen, sie richtete dafür einen "Patentpool" (Covid-19 technology access pool, C-TAP) ein. "Das funktioniert aber nicht, denn die führenden Impfstoffproduzenten machen dort nicht mit, und teilen ihr Wissen nicht, obwohl sie die Impfstoffe mit hohen öffentlichen Förderungen entwickelt haben", sagte Raza. Die EU sollte daher die Schwellenländer beim "TRIPS Waiver" Antrag unterstützen, meint er.

Raza kritisierte auch, dass die reichen Industrieländer das Beschaffungskonsortium für Impfstoffe der WHO (COVAX Initiative) ausgebremst haben und sich einen Großteil der Impfstoffe sicherten, nämlich 70 Prozent der in den Jahren 2020 und 2021 verfügbaren Dosen. "Damit die COVAX Initiative beim Beschaffungswettkampf auch eine Chance hat, müssten die Regierungen die Gelder aufstocken", sagte er. Hier sei auch Österreich gefordert, das sich bisher lediglich 2,4 Millionen Euro beteiligte, und damit bei der Spendefreudigkeit im unteren Drittel der EU Länder liegt. "Damit wäre eine gerechtere Verteilung der Impfstoffe möglich, was die globalen Todeszahlen laut einer aktuellen Studie halbieren könnte", sagte er.

Pharmaverband dagegen

Der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs (Pharmig) sprach sich gegen eine Lockerung aus. Der Patentschutz sei Grundlage, dass medizinische Innovationen auf den Markt gebracht werden, merkte Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog in einer Aussendung an. Er ist der Ansicht, dass "keine einzige Dosis an Corona-Impfstoffen zusätzlich produziert werden würde", wenn der Patentschutz falle. Die Herstellung dieser Arzneimittel sei "hoch komplex" und nur wenige Unternehmen könnten dies.

(APA)

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