Forschung

Autonome Notbremsen

Logistik
Logistik(C) Stuart Berman
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Wie vermeidet man Unfälle zwischen Pkw und Radfahrern? Im Rahmen von zwei Projekten tüftelt man an neuen Lösungen.

Autos, die mit anderen Verkehrsteilnehmern und Ampeln kommunizieren, die automatisiert auf Verkehrssituationen reagieren, im Notfall selbsttätig bremsen und auf diese Weise Unfälle vermeiden: Das ist das Szenario, das künftig auf Österreichs Straßen für mehr Sicherheit sorgen soll. Diesem Ziel haben sich zwei Forschungsprojekte verschrieben, die im Rahmen des „Mobilität der Zukunft“-Programms initiiert wurden, das vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie und der Forschungsförderungsgesellschaft FFG ins Leben gerufen wurde.

Beide Projekte haben vor allem den Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer – insbesondere der Radfahrer – im Blick. Denn um das EU-Ziel einer 50-Prozent-Reduktion bei der Zahl der Toten und Verletzten im Straßenverkehr in den kommenden zehn Jahren zu erreichen, gelte es in erster Linie, mehr zum Schutz der Pedalritter zu unternehmen, sagt Klaus Robatsch, Forschungsleiter beim Kuratorium für Verkehrssicherheit: „Während die Gesamtzahl der Opfer im österreichischen Straßenverkehr im Vorjahr zurückgegangen ist, ist die Zahl der ums Leben gekommenen Radfahrer um knapp zehn Prozent auf 338 gestiegen. Dazu kamen im Schnitt jeden Tag rund 20 Verletzte.“

Sensoren und Alarmsignale

Karl Rehrl von der Salzburg-Research-Forschungsgesellschaft ist technisch-wissenschaftlicher Koordinator des Projekts „Bike2CAV“. „Basis für ein Vermeiden von Unfällen ist die Ausstattung der Autos, der Radfahrer und der Verkehrsinfrastruktur mit entsprechender Technologie“, erklärt er. Radfahrer könnten aktiv dazu beitragen, von der Sensorik des Autos wahrgenommen zu werden. „Denkbar ist etwa ein Navi-System am Rad, das die Fahrtstrecke vorausberechnet und Signale an die Autos in der Umgebung ausschickt, wenn der Radfahrer beispielsweise an der nächsten Kreuzung abbiegen wird“, sagt Elisabeth Felberbauer, Geschäftsführerin von Bike Citizens. Das Grazer Unternehmen beteiligt sich mit der Entwicklung von Fahrrad-Prototypen an diesem Projekt.

Schließlich soll die Verkehrsinfrastruktur Daten an die Fahrzeuge senden. Wolfgang Schildorfer vom Logistikum der FH Oberösterreich in Steyr, Projektleiter des Projekts „Collective Perception (Cope)“: „Häufig kommt es zu Unfällen, weil Radfahrer schlicht übersehen werden. Die Sensorik der Infrastruktur erweitert gewissermaßen das Sichtfeld des Autos.“ Angedacht werden etwa Stereokameras an Ampeln, die die Umgebung beobachten und eine räumliche Interpretation des Verkehrsgeschehens ermöglichen. „Wichtig ist dabei, dass Radfahrer als solche und ihre Bewegungsrichtungen erkennt werden“, sagt Manfred Gruber, Leiter der Forschungsgruppe Assistive and Autonomous Systems am Austrian Institute of Technology. Das AIT entwickelt die Software, die die Daten der Kameras analysiert und interpretiert. Weitergereicht werden sie über WLAN oder 5G. Bei einer Gefahrensituation könnte so im Fahrzeug eine Warnung ausgelöst werden. Je automatisierter ein Pkw wäre, desto mehr würde sich die Entscheidung, was zu tun ist, vom Lenker zum Fahrzeug verlagern.

Was in der Theorie gut klingt, stößt in der Feinabstimmung auf jene Probleme, die die beiden Forschungsprojekte abzuklären versuchen. Schildorfer: „Da ist etwa die Frage, wie ein automatisiertes Fahrzeug Informationen unterschiedlicher Quellen bewertet und gewichtet. Oder die Frage, wann der richtige Zeitpunkt ist, eine Nachricht der Infrastruktur an das Fahrzeug zu senden.“

Viele ungeklärte Fragen

Karl Rehrl beschäftigt zudem die Frage, wie der Lenker bei niedrigerem Automatisierungsgrad des Fahrzeugs auf eine Gefahrensituation aufmerksam gemacht werden soll, möglichst ohne abgelenkt zu werden. Ein Problem, das auch die Radfahrer betrifft, wie Elisabeth Felberbauer betont. Denn auch diese sollen über entsprechende Technologie Informationen erhalten und ihr Verkehrsverhalten danach ausrichten.

Beide Forschungsprojekte laufen noch bis Sommer kommenden Jahres. Am Ende stehen jeweils Praxistests, die voraussichtlich an Kreuzungen in Linz und Salzburg durchgeführt werden.

Unfallstatistik:

Radfahrer verletzen sich oder sterben bei Unfällen 36 Mal so oft wie Autofahrer, zeigen die Statistiken des Kuratoriums für Verkehrssicherheit.

Rund 80 Prozent der schweren Unfälle ereignen sich durch Kollisionen mit motorisierten Fahrzeugen im Stadtgebiet, und dort wieder vorzugsweise in Kreuzungsbereichen. Die österreichische Forschungsgruppe „Straße, Schiene, Verkehr“ arbeitet derzeit neue Richtlinien zur Erhöhung der Verkehrssicherheit durch Infrastrukturmaßnahmen aus. So schlägt sie für Radfahrstreifen künftig eine Mindestbreite von zwei Metern vor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2021)

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