Die lange Reise Schulreform

Auch eine lange Reise beginnt mit dem ersten Schritt – und es ist der erste Schritt, der schwerfällt.

Zwei sprichwörtliche Volksweisheiten. Seit dem Beschluss unserer Verfassung im Jahre 1920 ist die Schule Reiz- und Kampfthema. Wesentlich Landessache im echten Bundesstaat, aber immer Objekt der Begierde der Wiener Zentralisten. 1920 gab es keine Einigung. Ein schwerfälliges Provisorium dauerte bis 1962. An der damals unter Schmerzen geborenen umständlichen Verfassungslösung wurde immer wieder „herumgedoktert“. Mit den daraus hervorgegangenen „Verfassungsbandwürmern“ der Art.14, 14a und 14b ist niemand glücklich. Die Schulen leiden. Nun haben die Länder einen seit 2008 vorliegenden und breit begutachteten Vorschlag der Verfassungsreformgruppe der Ära Gusenbauer/Molterer aufgegriffen und einen mutigen, weitreichenden, sauberen Vorschlag zur Neuordnung gemacht.

Alle inhaltliche Schulgesetzgebung soll der Bund erhalten, auch das Lehrerdienstrecht und die Qualitätssicherung durch neue wirksame Kontrollen. Zahlreiche Landesgesetze würden hinfällig. Die gesamte Schulverwaltung soll in einer Bildungsdirektion im Amt der Landesregierung gestaltet werden. Bisher verwalteten die Länder klaglos und qualitätsvoll zwar alle Pflichtschulen, der Bund aber zentral die AHS und BHS. Die Zweigleisigkeit der Verwaltung, die Landes- und Bezirksschulräte, der damit verbundene Proporz und viele Dienstposten würden entfallen.

Die Schulen bekämen mehr Selbstgestaltung in den Schulgemeinschaften, könnten Drittmittel erschließen und verwalten. Im Finanzausgleich wäre festgelegt, wie viel Steuermittel der Bund pro Schüler im Jahr den Ländern überweist. Die Länder könnten wirtschaften, die wechselseitigen Betrugsvorwürfe im derzeitigen Abrechnungssystem entfielen, gleichermaßen die Zweckentfremdung von Lehrern, die der Bund bezahlt, aber für Landeszwecke eingesetzt werden.

Große Beträge könnten eingespart werden: Gerade hat die OECD festgestellt, dass wir sehr viel für die Schulen ausgeben, aber nur mittelmäßige Ergebnisse erzielen! Also: Weg mit dem Speck!

Der Aufschrei der Zentralisten und der Nutznießer des derzeitigen Wirrwarrs ist gewaltig. Warum aber die Industrie in diesen Chor einstimmt, ist unverständlich. Klare zentrale Ziel- und Mittelbestimmungen, Vielfalt und Wettbewerb in der Durchführung, das sind doch Grundsätze, die ihr an und für sich wichtig sind. Aber die Industrie ist ja auch für die Gesamtschule...

Die Länder haben also ein Angebot gemacht, den ersten Schritt gesetzt. Sie sind über ihren Schatten gesprungen. Sie wollen Gesetzgebungsrechte gegen Verwaltungsverantwortung tauschen. Beide Seiten geben und erhalten im Gleichgewicht. Alle können gewinnen: die Schüler bessere Schulen, die Schulen mehr Selbstständigkeit, die Länder mehr Verantwortung – die Republik die zentrale Steuerung, Qualitätskontrolle und Sparsamkeit. Wird der Bund den zweiten Schritt setzen? Oder erweist er sich als Reform-Papiertiger?

Univ.-Prof. Andreas Khol war Nationalratspräsident.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2010)

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