Der ökonomische Blick

Wie die Rehabilitation von Kriminellen gelingen kann

Justizanstalt Stein
Justizanstalt Stein (c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Wiedereingliederung von Häftlingen in das soziale Leben ist ein Schwerpunkt des Strafvollzugs in Europa. Studien zeigen, wie das prosoziale Verhalten mit verschiedenen Interventionen gefördert werden kann.

Stellen wir uns anfangs eine einfach klingende Frage: Wozu sind Gefängnisse da? In anderen Worten, welche sind die Ziele des Strafvollzugs? Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist „die Bestrafung weiterhin einer der Hauptzwecke des Strafvollzugs, aber der Schwerpunkt im europäischen Strafverfahren liegt jetzt in der Rehabilitation.“ Es geht also weniger um Bestrafung oder darum, Kriminelle vom gesellschaftlichen Leben fernzuhalten, sondern vielmehr darum, sie zu rehabilitieren. Aber wie gut funktioniert das in der Praxis? Es ist entscheidend, die Wirksamkeit von Haftstrafen für die Abschreckung kriminellen Verhaltens und die Förderung der Wiedereingliederung von Insassen in das soziale Leben zu evaluieren.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

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Wissenschaftler sind sich uneins, wie sich Freiheitsstrafen auf das Verhalten von Insassen auswirken. Manche behaupten, dass die Perspektive oder die Erfahrung einer Freiheitsstrafe vor Straftaten abschreckt. Zur Untermauerung dieser Ansicht deuten jüngste Erkenntnisse aus Norwegen auf eine vorbeugende Wirkung der im Gefängnis verbrachten Zeit auf spätere kriminelle Aktivitäten und Rückfälle hin.

Ein zweiter Ansatz geht in die entgegengesetzte Richtung und behauptet, dass Gefängnisse angesichts der psychisch destruktiven und unmenschlichen Bedingungen die Kriminalität fördern. Darüber hinaus könnten Straftäter mit geringem Risiko durch den Umgang mit kriminellen Netzwerken im Gefängnis eine erhöhte Neigung zu Verstößen entwickeln.

Außerdem wird oft behauptet, dass sich das soziale Verhalten von verurteilen Kriminellen so grundsätzlich vom Rest der Gesellschaft unterscheidet, dass Rehabilitationsversuche wenig aussichtsreich sind. Forschungsstudien mit Daten aus Norwegen, Deutschland, den USA und Italien haben allerdings gezeigt, dass Unterschiede in Altruismus und Kooperationsbereitschaft zwischen Gefängnisinsassen und anderen Bevölkerungsgruppen entweder verhältnismäßig gering, oder nicht vorhanden sind. Das alles stimmt optimistisch: Unter den richtigen Bedingungen kann ein gezieltes und gut funktionierendes Strafvollzugssystem dazu führen, dass der durch die Inhaftierung entstehender Verlust an Humankapital in Grenzen gehalten wird.

Ökonomisches Experiment im Gefängnis

Auch wir haben uns in einer 2020 veröffentlichten Studie mit Fragen rund um den Strafvollzug beschäftigt. Mit Hilfe einer Stichprobe von 105 Insassen in zwei Strafanstalten in Griechenland haben wir ein ökonomisches Experiment durchgeführt, das diverse Aspekte der sozialen Orientierung misst. Darüber hinaus haben die Probanden entweder mit einem anderen Häftling interagiert, oder mit jemandem von außerhalb des Gefängnisses. Das erlaubte uns festzustellen, inwiefern die Inhaftierung zu einem sogenannten „ingroup bias“ führt, also zu der Tendenz, dass man gegenüber der breiten Gesellschaft weniger wohlgesinnt ist oder wird.

Die wichtigsten Ergebnisse unserer Studie lassen sich wie folgt zusammenfassen: Erstens mussten wir leider feststellen, dass eine längere Haftzeit im Schnitt zu einer Schwächung des prosozialen Verhaltens führt. Häftlinge werden im Schnitt weniger altruistisch, zeigen geringeres Vertrauen und weisen eine geringere Kooperationsbereitschaft auf, vor allem bei der Interaktion mit Menschen außerhalb des Gefängnisses. Zweitens haben wir eine einfache kognitive Intervention durchgeführt und ihre Wirksamkeit untersucht. Hier sind die Ergebnisse sehr positiv ausgefallen: Jene Insassen, die einen kurzen Text über ihre Zeit im Gefängnis und den Einfluss der Haftzeit auf ihr Verhalten schreiben mussten, haben im anschließenden Experiment deutlich sozialere Entscheidungen getroffen als jene, die keinen solchen Text verfasst haben.

Unsere Ergebnisse zeigen also, dass das prosoziale Verhalten von Häftlingen mit geeigneten Instrumenten und Interventionen gefördert werden kann. Verschiedene Instrumente ähnlicher Art sind über die Jahre und in vielen Ländern evaluiert worden, wie z.B. Programme zur Rechenschaftspflicht von Straftätern, kognitive Verhaltensinterventionen oder therapeutische Maßnahmen, oder sogar die geeignete Gestaltung der Architektur von Gefängnissen. Obwohl nicht alle Interventionen die erwünschten Ziele erreicht haben, haben sie oft zu einer Stärkung der prosozialen Orientierung und einer Reduktion der Rückfallraten unter den Teilnehmenden geführt.

Fazit

Die hier zusammengefassten Ergebnisse können Entscheidungsträger im Bereich des Strafvollzugs informieren und vor allem bei der Entwicklung und Feinjustierung eines Systems unterstützen, das die Rehabilitation der Häftlinge in den Vordergrund stellt und Weichen für prosoziales Verhalten stellt. Ein solcher evidenzbasierte Ansatz kann essenzielle Vorteile bieten, und zwar für die Akteure in den Gefängnissen (Insassen, Wärter, Verwaltung), aber auch für die Justiz und für die breite Öffentlichkeit.

Der Autor

Loukas Balafoutas ist seit 2014 Professor für Experimentelle Wirtschaftsforschung am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Innsbruck. Mit Hilfe von Experimenten untersucht er zahlreiche Facetten des menschlichen Verhaltens im ökonomischen, sozialen und moralischen Kontext.

Loukas Balafoutas
Loukas Balafoutas

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