Pandemie

Warum in Indien derzeit so wenige Corona-Fälle registriert werden

Auch Massenhochzeiten (wie hier am 14. Februar in Mumbai) sind in Indie mancherorts möglich.
Auch Massenhochzeiten (wie hier am 14. Februar in Mumbai) sind in Indie mancherorts möglich.REUTERS
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Die täglichen Neuinfektionen im 1,3 Milliarden Menschen zählenden Indien fielen auf ein Niveau von 10.000. In manchen Städten hat jeder zweite Antikörper. Doch die Zahlen könnten täuschen. So wurde zuletzt zwar deutlich weniger getestet, doch die Positivrate blieb hoch.

Noch vor sechs Monaten war Indien eines der großen Corona-Krisenländer, als sich das Virus explosionsartig durch die Armenviertel der Städte verbreitete und die Spitäler viele Erkrankte nicht mehr aufnehmen konnten. Mitte September zählte das Land mit mehr als 1,3 Milliarden Einwohnern täglich mehr als 90.000 Infektionen - mittlerweile, im Februar, sind es nur noch knapp über 10.000 Infektionen. Eine abfallende Kurve - und das ohne große Lockdowns. „Social Distancing" ist auch in Indien Thema, aber die Wirtschaft hat bereits wieder fast uneingeschränkt geöffnet, Reisen im Land sind ohne Einschränkungen möglich, das Alltagsleben der Menschen nimmt im Großen und Ganzen wieder seinen Lauf.

Stellt sich die Frage, wie es der Subkontinent geschafft hat, seine Zahlen derart zu drücken. An den Impfungen kann es nicht liegen. Obwohl das Land als Ziel ausgegeben hat, bis August 300 Millionen Menschen zu immunisieren, kommt die indische Impfkampagne bisher nicht in Fahrt, wie die Zahlen der Seite „Our World in Data“ zeigen. Zum Vergleich: Großbritannien hat 27 von 100 Menschen geimpft, die USA 19, Österreich 6 und Indien statistisch gesehen nicht einmal einen von 100.

Was kann also dann der Grund für die sinkenden Corona-Zahlen in Indien sein? Hier kommen mehrere mögliche Faktoren ins Spiel:

1) Unsicherheiten bei der Zählung

Ein Indiz dafür, dass die Neuinfektionszahlen nicht ganz stimmen könnten, ist die Zahl der Tests in Indien, berichtet CNN. Im September waren es noch über eine Million täglicher Tests, mittlerweile liegt diese Zahl zwischen 600.000 und 800.000 täglich, schätzt der Indian Council of Medical Research (ICMR). Die Positivrate dabei ist allerdings unverändert hoch - sie lag im Jänner bei sechs Prozent, im Februar immer noch über fünf Prozent. Die anhaltend hohe Positivrate könnte darauf hindeuten, dass die Infekte weiterhin in hohem Ausmaß zirkulieren, die Dunkelziffer also hoch ist.

2) Immunität in den Großstädten

Die enorme Bevölkerungsdichte in den indischen Metropolen hat zu einer raschen Ausbreitung des Virus beigetragen, was dazu geführt hat, das auch viele Menschen schon Antikörper im Körper tragen. Indien hat über elf Millionen Infektionen insgesamt registriert und 156.000 Todesfälle - so die Zählung der Johns Hopkins Universität. Nationale Untersuchungen des ICMR zeigen einen deutlichen Anstieg der Zahl von Menschen mit Antikörper in mehreren Regionen, besonders in den Städten. Eine von August bis September durchgeführte Untersuchung zeigt, dass schon mehr als die Hälfte der Bewohner von Mumbai Infektionen hinter sich haben. Das wären alleine schon neun bis zehn Millionen Fälle, die wohl zum Großteil nicht in der offiziellen Zählweise auftauchen.

Doch Indien ist noch weit entfernt von Herdenimmunität. Zur Erinnerung: elf Millionen bestätigte Coronafälle gab es in Indien, das sind nicht einmal ein Prozent der 1,4 Milliarden zählenden Bevölkerung. Abgesehen von den großen Städten, wo möglicherweise die Infektionsrate deutlich höher ist, als es diese Zahl zeigt, gibt es in vielen Regionen deutlich geringere Infektions- und somit auch Antikörper-Raten, schätzt Dr. Hemant Shewade im Gespräch mit CNN. Und der Chef des nationalen Impfinstituts, Adar Poonawalla, sagte schon im Jänner, dass es wohl noch drei oder vier Jahre dauern könnte, bis die für eine Herdenimmunität notwendigen 90 Prozent der Bevölkerung durch überstandene Infektion oder Impfung immun sind.

3) Demografie

Ein weiterer Punkt, weshalb die Infektionen mit dem Coronavirus derzeit auf geringem Niveau scheinen, ist die Bevölkerungsstruktur Indiens. Die Hälfte der Inder ist jünger als 26 Jahre alt. Fast zwei Drittel der Bevölkerung sind jünger als 35 - das sind zumindest die Zahlen der Volkszählung aus dem Jahr 2011. Das bedeutet vermehrt asymptomatische Infektionen und viele milde Verläufe, die es nicht in die Statistik schaffen.

4) Geografie

Mehr frische Luft, kleinere soziale Kreise: 70 Prozent der Inder leben in ländlichen Regionen, was ebenfalls großen Coronaclustern einen Riegel vorschieben könnte. „Eine Person, die in einer ländlichen Gegend lebt, reist nicht mit Bus oder Zug, ihr Netzwerk ist kleiner. (...) Es gibt weniger Risiko verglichen mit dem Risiko für jemanden in urbanem Umfeld“, erklärt Raman Gangakhedkar dem US-Sender CNN. Gangakhedkar ist der Ex-Chef-Epidemiologe des ICMR.

5) Regierungsmaßnahmen

Und auch wenn es derzeit keinen harten Lockdown gibt, könnten auch die Bemühungen der Regierung gegen die Pandemie Früchte tragen. Maskenpflicht, soziales Distanzhalten und regeln für Versammlungen sind immer noch in Kraft. Der letzte harte Lockdown ist im September zu Ende gegangen - kurz vor dem letzten Infektionshöchststand.

Ausblick unsicher

Doch diese Faktoren und die derzeitig ruhigere Pandemielage in Indien sind kein Grund zur allgemeinen Entspannung. Es gibt auch Regionen im Land, in denen die gemeldeten Zahlen dramatisch sind - etwa im Bundesstaat Maharashtra, wo derzeit strengere Regeln gelten und ein harter Lockdown wieder diskutiert wird. Die nächste Welle scheint auch in Indien jederzeit möglich.

>> CNN-Artikel über die sinkenden Neuinfektionszahlen in Indien

>> Impfdaten von „Our World In Data“ auf CNN

(Red./Ag.)

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