Doku

Die schwarzen Tränen der Billie Eilish

Braucht es wirklich eine fast zweieinhalbstündige Doku über eine 19-jährige Musikerin? Ja. „Billie Eilish: The World's A Little Blurry“ ist ein faszinierendes, beängstigendes Porträt einer kompromisslosen Künstlerin. Auf Apple TV+.

Billie Eilish, zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt, filmt ihre Mutter im Garten. Die Mutter soll in einer ganz bestimmten Haltung an einem Tisch sitzen und ein Glas halten. Das Teenagermädchen gibt Anweisungen: Die Beine auf den Boden! Jetzt so tun, als würde sie trinken! Das Glas besser in die andere Hand nehmen! Mit dem Handy in der Hand geht Billie Eilish um ihre Mutter herum, kommentiert die Kameraperspektive. Den Clip schickt sie Carlos López Estrada, dem Regisseur ihres Musikvideos zu „When the Party's Over“.

In dem fertigen Video ist sie es selbst, die am Tisch sitzt. Schwarze Flüssigkeit ist im Glas. Sie trinkt, dann rinnen pechschwarze Tränen über ihre Wangen. Das Musikvideo ist exakt so geworden, wie sie sich es vorgestellt hat, und trotzdem ist sie nicht zufrieden. In Zukunft werde sie selbst Regie führen, beschließt sie. Diese junge Musikerin, kaum der Kindheit entwachsen, weiß ganz genau, was sie will, das zeigt die Doku „Billie Eilish: The World's A Little Blurry“, seit heute auf Apple TV+, sehr deutlich.

Der Regisseur, R. J. Cutler, bewies das richtige Gespür, als er sich dazu entschloss, einen Dokumentarfilm über Billie Eilish zu drehen. Vor gut zwei Jahren begann er mit den Dreharbeiten. Damals hatte Eilish eine Million Follower auf Instagram. Inzwischen sind es mehr als 76 Millionen. Das Video mit den schwarzen Tränen wurde rund 670 Millionen mal abgerufen. Eilishs Debütalbum „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ und die Singles daraus wurden mit fünf Grammys ausgezeichnet.

Der Film setzt bei den Arbeiten zu diesem Album, ihrem bislang einzigen, ein. Dass Eilish ein Star werden würde, war damals abzusehen, nicht aber das Ausmaß ihres Erfolgs. Mit erst 14 Jahren hatte sie schon einen Plattenvertrag unterschrieben, sie galt als vielversprechendes Talent.

Aufgenommen im Kinderzimmer

Viele Szenen von „Billie Eilish: The World's A Little Blurry“ finden im Zimmer ihres vier Jahre älteren Bruders Finneas statt, in dem sie das Album aufnehmen. Einige Szenen haben die beiden selber gedreht: Sie albern herum und arbeiten. Die Geschwister sind musikalisch eng verbunden. Keine Billie ohne Finneas. Er produziert ihre Musik und schreibt ihre Songs teilweise oder ganz, etwa „No Time To Die“, das Titellied zum kommenden James-Bond-Film. Die Kontrolle behält stets Eilish. In der Doku versucht die Mutter der beiden einmal durch Finneas auf ihre Tochter einzuwirken, sie solle ein paar „zugänglichere“ Songs schreiben. Sie lehnt das vehement ab.

(c) Apple TV +

Billie Eilishs Songs sind kein Easy Listening. In ihren Liedern verwandeln sich Träume zu Albträumen. „I wanna end me“, singt sie einmal, und „nothing“ sei besser als wenig. Grüner Haaransatz, sackartige Kleidung, weil sie ihren Körper nicht Werturteilen preisgeben will. Nein, Billie Eilish ist nicht leicht „zugänglich“. Aber ist sie so außergewöhnlich, dass sie deswegen eine fast zweieinhalbstündige Doku verdient? Ihren Aufstieg illustrieren viele Konzertmitschnitte, nicht alle tragen zu diesem faszinierenden Porträt bei. Um sich dem Mädchen zu nähern, braucht es Zeit. Nur langsam rückt sie mit ihrer Vergangenheit heraus, Regisseur Cutler setzt hier sparsam Videos aus Kindheit und früher Jugend ein: die Hüftverletzung, die ihren Traum, Tänzerin zu werden, platzen ließ. Selbstverletzungen. Wie unglücklich sie in diesen Typen verliebt ist, der sie ständig versetzt (sie macht erfreulicherweise Schluss mit ihm). Man fragt sich nicht nur, ob Eilish dem Druck eines Lebens als Superstar psychisch gewachsen ist, sondern auch physisch. Auf einer Tour kann sie vor schmerzenden Beinen kaum gehen. In Mailand bricht sie sich auf der Bühne den Knöchel – und ist untröstlich darüber, dass sie nicht die Show liefern kann, die sie will.

Sie liebt ihre Fans, die genau das an ihr lieben: Sie ist ein Superstar, der keine Kompromisse eingeht. Wie andere Jugendliche steckt sie in einem Zwiespalt: Sie will beliebt sein und in sozialen Netzwerken Likes sammeln, hat gleichzeitig berechtigterweise Angst davor, dass man sich über sie lustig macht und sie anfeindet. Ständig hat sie ihr Handy in der Hand, prüft Klicks und Medienberichte. „Teenager heute leben in einer beängstigenden Zeit“, sagt Billie Eilishs Mutter und zählt auf: Die Rezession, die sie selbst getroffen hat, die US-Opioidkrise, die Erderwärmung, Rassismus (von Corona war damals noch keine Rede). Eilishs Eltern schwirren stets um ihre Tochter herum im Versuch, sie zu beschützen. Es möge ihnen gelingen.

Zur Person

Billie Eilish wurde am 18. Dezember 2001 in Kalifornien in eine Musikerfamilie hineingeboren. 2015 stellte sie ihren Song „Ocean Eyes“ online, der sie bekannt machte und ihr einen Plattenvertrag verschaffte.

Ihr Debüt „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ erschien 2019. Sie arbeitet stets mit Bruder Finneas zusammen.

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