Pandemie-Rechtsstreit

Niederlande: Corona-Ausgangssperre doch rechtmäßig

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Klage von „Querdenkern" gegen Corona-Maßnahmen in zweiter Instanz zurückgewiesen. Nach dem ersten Urteil, das die Ausgangssperre gekippt hatte, wurde diese flugs durch ein ganz neues Gesetz legitimiert. Derweil steht eine Revolte der Wirte kurz bevor.

Im heftigen und politisch folgenreichen Rechtsstreit um die nächtliche Ausgangssperre in den Niederlanden wegen der Pandemie hat ein Berufungsgericht nun der Regierung doch recht gegeben. Die staatliche Maßnahme gegen die Corona-Pandemie sei einer rechtmäßigen Rechtsgrundlage entsprechend eingeführt worden, entschied am Freitag der Gerichtshof in Den Haag. Damit wurde ein Urteil des erstinstanzlichen Den Haager Verwaltungsgerichts von Mitte Februar aufgehoben, das die Ausgangssperre mit sofortiger Wirkung als rechtswidrig gekippt hatte.

Die Ausgangssperre von 21.00 bis 4.30 Uhr war am 23. Jänner eingeführt worden, um vor allem die Verbreitung der britischen Virusvariante abzubremsen. In den ersten Tagen hatte es deswegen heftige Krawalle in mehreren Städten gegeben. Die Maßnahme war dessen ungeachtet erst kürzlich bis 15. März verlängert worden.

Die Empörung war vielfach auch deswegen so groß, weil Ausgangssperren im Land zuletzt während des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Besatzungsmacht verhängt worden waren.

imago images/ANP

Allerdings hatten an den Protesten, bei denen auch Feuer gelegt, Geschäfte geplündert und sonst hoher Sachschaden angerichtet worden war, doch großteils Menschen eher jüngerer und mittlerer Jahrgänge teilgenommen, darunter auch extrem rechte sowie linke Gruppen, Verschwörungstheoretiker, Esoteriker, Hooligans und viele Migranten.

Regierung schuf per „Turbo" neue Rechtsgrundlage

Die Corona-Protestgruppe "Viruswahrheit", eine Vereinigung von „Querdenkern", hatte gegen die Ausgangssperre geklagt und am 16. Februar zunächst obsiegt. Die Regierung legte umgehend Berufung ein, schickte aber auch ein ganz neues Notgesetz ins Parlament, um dieses im „Turbo-Verfahren" absegnen und die Ausgangssperre eben auf dieser neuen Grundlage aufrechterhalten zu können.

Dieses neue Gesetz, das das frühere ersetzt, ist bereits in Kraft getreten. Daher ist das jetzige Berufungsurteil für die Aufrechterhaltung der Ausgangssperre eigentlich nicht relevant. Selbst wenn das Urteil der ersten Instanz bestätigt worden wäre, hätte es keine Folgen für die Praxis, weil es eben nicht um die Legalität der bestehenden Ausgangssperre auf Basis des neuen Gesetzes ging.

In erster Instanz hatte der Einzelrichter an der Rechtbank Den Haag erklärt, dass es für die Einführung der Sperre durch die Regierung keine im eigentlichen Sinn „akute" und „außergewöhnliche" Notlage gebe, wie es das dafür Ende 2020 eigens erlassene Sondergesetz voraussetzt.

Sophistische Widerlegung der Notlage

Die Begründung war interessant und etwas sophistisch: Eine "wirkliche" Notlage würde es etwa bei einem Bruch der Deiche geben, so eine Not im Sinne des Gesetzes komme in der Regel plötzlich und kaum oder nicht vorhersehbar. Dass aber vor Erlass der Sperre Mitte Jänner noch wochen- bis monatelang darüber debattiert worden war, ob man sie einführen soll oder nicht, wobei das Ermächtigungsgesetz dafür ja schon seit Dezember existiert hat, zeige, dass es keine echte Notlage gebe. Der Richter sah also keine hohe Dringlichkeit. Zudem schränke die Sperre Grundrechte zu sehr und unverhältnismäßig ein, etwa Bewegungs-, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit.

Der Richtersenat der Berufungsinstanz (Gerechtshof) Den Haag sah das indes jetzt genau umgekehrt. Die Corona-Pandemie sei als Anlass per se ausreichend und sehr wohl eine außergewöhnliche und schwerwiegende Notlage. Auf den „Überraschungsfaktor" kommt es also doch nicht an. Daher seien Einschränkungen von Grundrechten gerechtfertigt.

Gegen die Entscheidung ist noch Revision ans Höchstgericht, den Hohen Rat, möglich, doch ginge es dabei wie gesagt nur noch um eine rein theoretische Frage, weil die nächtliche Ausgangssperre eben mittlerweile auf einer neuen Rechtsgrundlage beruht, die nicht Prozessgegenstand ist.

„Willkommen in der Diktatur"

Willem Engel, der Gründer von „Virus-Wahrheit", hat dennoch Revision angekündigt. „Willkommen in der Diktatur", sagte er

APA/AFP

Das Berufungsurteil bedeutet indes auch, dass die wegen der Übertretung der Ausgangssperre bisher verhängten mindestens 33.000 Strafbescheide - inklusive jener auf Basis des früheren Notstandsgesetzes -  von je 95 Euro bezahlt werden müssen. Nach dem Urteil erster Instanz war die Vollstreckung der Bescheide ausgesetzt worden. Allerdings haben Einzelpersonen und Anwälte massenhaft Einsprüche gegen diese Bescheide eingelegt.

In Europa hatten zahlreiche Gruppen, die die Coronasperren ablehnen, das erstinstanzliche Urteil in Den Haag geradezu gefeiert und bisweilen sogar als „Sieg über ein System" gesehen, das die Menschen unter dem Vorwand der Pandemie praktisch unterjochen und verarmen lassen wolle.

Nächste Woche droht Krieg mit den Wirten

Unterdessen bahnt sich an einer weiteren Front Krach an: Viele Lokalbesitzer in den Niederlanden, die unter den monatelangen Sperren ihrer Bars, Kaffeehäuser etc. leiden, haben die vorzeitige Öffnung ihrer Lokale für 2. März angekündigt. Sie wollen zumindest, sofern vorhanden, ihre Außenbereiche öffnen, aber auch schon damit den Lockdown brechen.

Protest against COVID-19 restrictions in Amsterdam
Protest against COVID-19 restrictions in AmsterdamREUTERS

Justizminister Ferdinand Grapperhaus drohte ihnen am Freitag hohe Strafen und Polizeieinsätze an. Sollte es aber nächste Woche zu solchen „Massenöffnungen" kommen, ist es unklar, ob es überhaupt genügend Polizisten gibt, um die Schließungen erzwingen zu können, zumal flankierender Widerstand durch Corona-Protestgruppen und „gewöhnliche" Gäste zu erwarten ist, die einfach wieder einmal Bier trinken gehen wollen.

(APA/wg/Helmut Hetzel)

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