Wittmann. "Andes" von Luca Nichetto fügt sich zu individualisierten Sitztopografien.
Wohnen

Sofas: Atlas der Behaglichkeit

Das Sofa ist die zentrale Schnittstelle der Wohnbedürfnisse. Die Topografie der Gemütlichkeit stellen die Designer immer wieder neu auf.

Kein Möbelstück hat größeres Volumen, kaum eines mehr Gewicht. Vor allem nicht in den Traumvorstellungen vom schöneren Wohnen. Und auch tatsächlich im Raum drückt und lastet das Sofa am allerschwersten auf den ästhetischen Gesamteindruck. Das Sofa ist der Elefant der Möbeltypologien. Spätestens beim Umzug in die neue Wohnung merkt man es. Noch wirkt alles luftig und offen, bis das Sofa schließlich eintrudelt und dem Raum mit einem Mal die Kubikmeter wegzusaugen scheint. Und doch tritt das Sofa zuletzt auf Designblogs und vormals in den Möbelkatalogen gern so leichtfüßig auf, als wäre es doch lieber als Gazelle auf die Welt gekommen. Grau wie Elefanten bleibt die Ausführung dann doch gern. Schließlich werden Moosgrün und Blitzblau noch immer wenig mit "elegant" assoziiert. Dabei will man doch gerade dieses Merkmal großflächig ausspielen zuhause, wenn das Sofa denn schon fast so viel kostet wie eine komplette Küche. Und überhaupt kaum Platz für anderes bleibt, seitdem die Immobiliendeveloper erkannt haben, dass sie mit weniger Quadratmeter zum selben Preis genauso viel verdienen.

Cassina. "Sengu" von Patricia Urquiola sucht auch bewusst den Anschluss im Raum.
Cassina. "Sengu" von Patricia Urquiola sucht auch bewusst den Anschluss im Raum.beigestellt

Szenerie. Das Sofa ist aber auch stets Topografie. Eine künstlich inszenierte Landschaft, die ihre Höhen, Tiefen, Weiten, Schluchten und Gräben hat. Und manchmal ist die Landschaft sogar so bunt, wie sie vor den Türen tatsächlich wäre. Wenn man sich beim Einrichten traut. Oder wenn das Sofa aus dem Produktportfolio jener Hersteller stammt, die sich ohnehin gern aus der monotonen Suppe des Mainstreams herauslehnen. Wie etwa das deutsche Unternehmen Brühl. Dann gerät das Sofa auch zum Ufer, auf das man sich aus der Brandung des Alltags zurückziehen darf. Sonst würde man vielleicht nicht "Bongo Bay" als Modellname wählen. Zumindest krümmen sich die Uferlinien auch ziemlich organisch wie entlang der versteckten Bucht auf der Lieblingsinsel im Lieblingsmeer. Oder das Sofa wird selbst zur Insel. Auch wenn es sich wie in diesem Fall demonstrativ architektonisch geriert, als Plattform, die in den Raum hinausragt: "Matic" ist ein modulares System, das Piero Lissoni für Cassina entworfen hat.

Bretz. "Edgy" setzt auf die Bausteinästhetik und auf Farben, die knallen.
Bretz. "Edgy" setzt auf die Bausteinästhetik und auf Farben, die knallen.beigestellt

»Das Sofa ist stets auch Landschaft. Manchmal Ufer, Bucht, Insel und Meer.«

Auch an anderer Stelle des Möbeluniversums dominieren die Linien, die man der Natur erst aufzwingen musste: die geraden, die klaren. Wie beim Modell "Edgy" von Bretz. Es beschwört die Baustein-Quadratur-Tetris-Ästhetik, die kaum ein Hersteller zuletzt ausgelassen hat. Genauso wenig wie ein anderes Prinzip: Zu mischen, was sich mischen lässt. Die Materialien, die Sitzhöhen, die Breiten, das Hinten mit dem Vorn. Das Sofa als großes Ich-bin-ich. Vielen anderen scheinbar verwandt, doch im Grunde ziemlich personalisiert und eigenständig durch die individuelle Kombination der Elemente.

Knoll. Piero Lissoni legt das Thema "Sofa" sehr weitflächig aus: Das Modell "Matic".
Knoll. Piero Lissoni legt das Thema "Sofa" sehr weitflächig aus: Das Modell "Matic".Beigestellt

Gerade diesen Zugang bemüht auch das Sofa "Andes", das der Designer Luca Nichetto für die österreichische Manufaktur Wittmann kreiert hat. Das Modell suggeriert: Man muss jetzt nicht alle Sofa-Traditionen so ernst nehmen, aber zumindest jene, die das Unternehmen als "Wiener Traditionen" apostrophiert. Und diese betrifft vor allem die handwerklichen, an die sich Nichetto natürlich gern streng gehalten hat. Doch sonst ist "Andes" wenig dogmatisch geraten, wurde eher zum frei verfügbaren Sofa-Alphabet, das jedem Einzelnen die Chance gibt, einen klassischen Stoff auf der privaten Bühne neu zu inszenieren. Und das alles auf einer filigranen Metallstruktur.

Brühl. "Bongo Bay", ein Riff der weichen Behaglichkeit, vor allem in Algengrün.
Brühl. "Bongo Bay", ein Riff der weichen Behaglichkeit, vor allem in Algengrün.beigestellt

Sofas sind nicht nur Landschaften. Sie sind auch Häfen. Sie geben Sicherheit. Sie stellen ganz ungewöhnliche Dinge mit uns an, machen uns sanfter, wenn sie weich genug dafür sind, und machen uns sogar gesprächig und gesellig. Selbst wenn sie gleichzeitig die Intimität zelebrieren. Das Sofa "Sengu", das Patricia Urquiola für den Hersteller Cassina entwickelt hat, versteht sich sogar explizit als Kommunikationsmöbel. Denn da wird extra darauf hingewiesen, dass sich Geselligkeit und Intimität auf dieser gepolsterten Plattform nicht ausschließen. Die paradoxe Verrenkung, die der Mensch jeden Tag vornimmt, die versucht das Sofa auch gestalterisch.

Cor. "Jalis21" borgt sich Sitztraditionen aus dem Orient für die Wohnzimmer des Okzidents.
Cor. "Jalis21" borgt sich Sitztraditionen aus dem Orient für die Wohnzimmer des Okzidents.beigestellt

Sitzkultur. Und dass die Sofas auf die Kommunikationskultur einwirken, das will sich auch "Jalis21" vom deutschen Hersteller Cor zunutze machen. Das Studio Jehs + Laub hat schon vor Jahren das Grundkonzept dafür entwickelt, jetzt wurde es adaptiert, und noch dazu wurden die Volumen üppig aufgepumpt. Den Begriff "dschalies" hatte man sich ursprünglich aus dem Arabischen geborgt, er bezeichnet "Gastfreundschaft" und "entspanntes Reden". Die Polster haben die Designer zum Wesenskern des Sofas hochstilisiert. Als hätte sie jemand gerade eben beiläufig zur Sitzlandschaft arrangiert. Mit dem Namen und dem Konzept hat man sich natürlich auch gleich ein paar Mythen und Klischees aus dem Orient geliehen. Macht nichts, solang sie bequem sind. Und im Falle von "Jalis21" scheinen sich die Gesprächspartner ziemlich sanft und weich auf einer Ebene zu begegnen.

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