Gratisnachhilfe

Die Schwächsten nicht alleinlassen

Home-Schooling lässt den Bedarf an Nachhilfe steigen. So manche Familie kann sich diese aber nicht (mehr) leisten.
Home-Schooling lässt den Bedarf an Nachhilfe steigen. So manche Familie kann sich diese aber nicht (mehr) leisten.Getty Images
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Home-Schooling lässt den Bedarf an Nachhilfe steigen. So manche Familie kann sich diese aber nicht (mehr) leisten. Über Nachfrage, Initiativen und volkswirtschaftliche Folgen.

Probleme beim Lesen und Schreiben oder Schwierigkeiten dabei, Aufgaben zu verstehen – Schulschließungen und Home-Schooling haben bei vielen Schülern zu Lerndefiziten geführt oder diese verstärkt. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien. Einer Studie des Instituts für Höhere Studien (IHS) zufolge befürchten rund 75 Prozent der befragten Lehrer für ihre benachteiligten Schüler Kompetenzeinbußen im Zusammenhang mit dem Home-Schooling – ein doppelt so hoher Anteil wie im Durchschnitt benannt wird. „Das ist leicht nachvollziehbar“, sagt Mario Steiner, Bildungsforscher am IHS. Die Lernleistung sei in einem noch nie dagewesenen Ausmaß ins Private verlagert worden.

Knackpunkt Erreichbarkeit

Eines der Hauptprobleme sei die Erreichbarkeit der Schüler: Einer Studie des IHS zufolge seien durchschnittlich zwölf Prozent nur schwer oder gar nicht erreichbar. „Fragt man nach den benachteiligten Schülern, so steigt dieser Anteil auf 37 Prozent“, so der Bildungsforscher. Dazu komme, dass die notwendige Unterstützung in Hinblick auf Zeit und Ressourcen in hohem Maße vom Hintergrund abhängig sei. „In sozial schwächeren Familien hapert es daran meist“, weiß Steiner. Anna Parr, Generalsekretärin der Caritas Österreich, ergänzt: „Das Distance Learning überfordert die Kinder oftmals und wir erleben einen starken Motivationsabfall, wenn Schwierigkeiten auftreten.“

Dementsprechend ist der Bedarf an Nachhilfe gestiegen. Die Warteliste für die 56 Lerncafés der Caritas, die kostenlos benachteiligte Kinder vorrangig per Distance Learning unterstützen, ist durch die Krise länger geworden. „1000 Kinder warten österreichweit auf einen Platz“, sagt Parr. Auch Irmelda Kühnelt, Leiterin der IFL Nachhilfe Steiermark/Kärnten, registriert eine deutlich gestiegene Nachfrage. „Der Bedarf an Nachhilfe ist so groß wie nie. Aber die finanziellen Möglichkeiten der Eltern waren noch nie so gering.“

Um Kindern und Jugendlichen, die durch die Coronakrise in der Schule mit Problemen kämpfen und deren Eltern in finanzielle Nöte geraten sind, dennoch außerschulische Unterstützung zu ermöglichen, startet Kühnelt mit März das Projekt Stundenpool. „Die Idee ist, dass Eltern, die für ihr eigenes Kind einen Zehnerblock kaufen, eine elfte Stunde dazunehmen, die einem Kind aus einer einkommensschwachen Familie zugute kommt“, beschreibt Kühnelt. Auch verschiedene Lehrkräfte sowie das IFL zahlen in den Stundenpool ein. So beteiligt sich das IFL pro gespendeten zehn Einheiten mit einer elften Stunde. Kühnelt erhofft auch von Unternehmen Unterstützung. Damit diese Stunden für alle Fächer und Schulstufen jenen Kindern zugute kommen, die sie dringend brauchen, setzt Kühnelt auf die Zusammenarbeit mit Schulen, Bildungsberatern und Elternvereinen. „Sie können die Kinder nominieren.“

1300 Online-Kurse

Auch die VHS Wien bietet mit ihrer Förderung 2.0 Gratisunterstützung für Schüler zwischen zehn und 14 Jahren. Die Online-Lernhilfekurse in Deutsch, Mathematik und Englisch finden wöchentlich statt und dauern je 50 Minuten. Die insgesamt 1300 Kurse können von jeweils maximal zehn Schülern besucht werden. Diese erhalten Unterstützung bei den Hausaufgaben, beim Verstehen des Lernstoffs sowie bei der Vorbereitung auf Schularbeiten und Tests. Ebenfalls online finden bis auf Weiteres die VHS-Lernstationen, ein offenes Lernangebot für die Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch, statt.

Die Unterstützung wirkt, weiß Parr, die bei gegebener Finanzierbarkeit die Caritas-Lerncafés weiter ausbauen will. 96 Prozent der betreuten Kinder würden das Schuljahr positiv abschließen. Bildungsforscher Steiner betont die Wichtigkeit, Lerndefizite auszugleichen. Andernfalls würde die aktuelle Bildungskrise weitere Kreise ziehen. „Wir reden da von frühem Bildungsabbruch, höheren Drop-out-Quoten, geringeren Karrierechancen oder niedrigerer Produktivität der Betroffenen.“ Die wiederum massive volkswirtschaftliche Auswirkungen haben. „Auf sehr vorsichtiger Schätzbasis kommt man auf einen Erwerbseinkommensverlust aller betroffenen Schüler von 100 bis 200 Euro und einen Verlust von über zwei Milliarden Euro oder mehr pro Schul-Lockdown-Monat“, heißt es dazu in einem von Steiner und dem jetzigen Arbeitsminister, Martin Kocher, im November 2020 verfassten Policy Brief. „Das Problem ist, dass sich der Schaden erst später bemerkbar macht“, sagt Steiner, der mehr Aufmerksamkeit für das Thema sowie eine Pandemiestrategie für den Bildungsbereich fordert.

INFORMATION

Gratisnachhilfe für Kinder aus sozial benachteiligten Familien bieten etwa:

- die Caritas-Lerncafés; Punkt „Hilfe und Beratung“ auf www.caritas.at

- das Nachhilfeinstitut IFL Stmk./Kärnten im Rahmen des Projekts Stundenpool; www.ifl.at

- die VHS Wien mit Online-Kursen in Mathematik, Deutsch und Englisch sowie Online-Lernstationen.

www.vhs.at/de/e/gratis-lernhilfe

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2021)

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