Zeichen der Zeit

Momente der Fremdheit

Kritisch-liebevoll: Eine Reise in die Ukraine versöhnt Dmitrij Kapitelman mit seiner Familie.

Als die Kapitelmans aus der Ukraine nach Deutschland auswanderten, war Dmitrij acht Jahre alt. Nach einem Vierteljahrhundert in Deutschland möchte Dmitrij nun einen Einbürgerungsantrag stellen. Identitätspolitiken („ukrainisch-russisch-jüdischdeutsch“) interessieren ihn dabei nicht, er denkt (so denkt er) ganz pragmatisch. Er wolle ein „administrativ möglichst komfortables Dasein fristen, mit so wenig bürokratischem Ballast und Begrenzungen wie möglich“, schreibt der gebürtige Kiewer über seine Motivation, Papier-Deutscher zu werden. Doch alles ist komplizierter als gedacht. Eine Apostille aus der Ukraine fehlt. Also steht eine Reise in das Land von Dimas Kindheit an, in dem heute ein Komiker Präsident ist, in dem Krieg mit Russland herrscht und Behördengänge die Übergabe von Geldscheinen erfordern (so denkt er).

So beginnt das zweite Buch Kapitelmans, das wie sein Debüt starke autobiografische Züge trägt. Stand im Erstling die Beziehung zu seinem „otez“ (russisch für Vater) im Vordergrund, ist es nun die Beziehung zu beiden Elternteilen: Vera und Leonid. Dima hat ein gespaltenes Verhältnis zu ihnen. Als Leser mag man sie sofort. Die Reise nach Kiew, „Stadt unserer Vergangenheit“, wird zu einer sehr persönlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Verwundbarkeit, den Folgen familiärer Sprachlosigkeit und der Frage, was Migrationserfahrung mit Menschen macht. Weit mehr als nur „Eine Formalie in Kiew“, wie der Titel suggeriert.Kapitelmans Problem – der Papierkram – ist mickrig angesichts der Herausforderungen, die auf ihn warten. Sein verwirrter Vater trifft in Kiew ein und braucht dringend medizinische Hilfe. Die Mutter hat ihn zum Sohn abkommandiert.

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