Klimaklage

Ab 25 Grad nur noch im Rollstuhl

Zwei Seiten der Sonne
Zwei Seiten der Sonne(c) dpa-Zentralbild/Patrick Pleul (Patrick Pleul)
  • Drucken

„Fridays for Future“ klagt beim Gerichtshof für Menschenrechte den Schutz vor Klimaerhitzung ein. Gemeinsam mit einem Multiple-Sklerose-Patienten.

„Wir sind in einer glücklichen Lage. In anderen Regionen kommt das Meer und die Leute haben nur die Chance, überhaupt wegzuziehen.“ Das sagt Mex M., der in einem Haus im Waldviertel wohnt. 2004 hat er seine Diagnose erhalten: Er leide an Multipler Sklerose (MS), einer chronischen Entzündung des Zentralnervensystems. Bei dieser Autoimmunerkrankung wird die Leitfähigkeit der Nerven mehr und mehr beeinträchtigt. MS ist nicht heilbar, es gibt jedoch gut wirksame Medikamente und Therapien.

Von den mehr als 13.000 MS-Patient*innen in Österreich leiden viele am „Uhthof-Syndrom“ – an einer verbreiteten Variante bei MS (und anderen Nervenerkrankungen), die dazu führt, dass die Beschwerden mit steigender Temperatur signifikant zunehmen. Mex M. ist einer von ihnen.

„Mex ist einer von uns"

Deshalb hat der 40-jährige Waldviertler am Dienstag bei einer Pressekonferenz von „Fridays for Future“ teilgenommen. Mex M.: „Früher hat der Sommer zwei bis drei Monate gedauert. Heute vier Monate.“ Sommer bedeutet für ihn, dass er zu Hause bleibt und nur ganz selten an die frische Luft kann. Die frische Luft ist heiß, zu heiß. Ab 25 Grad sind die Muskeln so geschwächt, dass er auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Ab 30 Grad ist für Mex M. Mobilität nur noch mit einem elektrischen Rollstuhl möglich.

Für „Fridays for Future“ ist das ein Grund zu handeln. Die Organisation hat am Dienstag die Initiative ergriffen, um den Schutz vor der Klimaerhitzung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzuklagen. Für die Gymnasiastin Paula D. ist es eine Selbstverständlichkeit, sich zu engagieren: „Vor den Sommerferien hab ich gesagt: So geht’s nicht weiter!“ Seither ist sie bei „Fridays for Future“ aktiv geworden. Dass sie jetzt mitarbeitet, diese Klage einzubringen, liegt für die 16-Jährige auf der Hand: „Mex ist einer von uns.“

Klage in Straßburg

Ein ähnlich gelagertes Verfahren ist in Österreich im vorigen Oktober beim Verfassungsgerichtshof gescheitert, weltweit liegen Hunderte solcher Klagen bei Gerichten; erst am Montag wurde eine vergleichbare in Australien eingebracht. In einigen Ländern ist es bereits zu Urteilen gegen die jeweiligen Regierungen gekommen.

Ein solches möchte auch Michaela Krömer erwirken. Die Juristin, die unter anderem in Harvard studiert hat und sich auf Verfahren um Menschenrechte und Umwelt spezialisiert hat, sagt: „Es gibt Schutzpflichten des Staates, sogar bei Naturkatastrophen.“ Im konkreten Fall handle es sich aber nicht um eine Naturkatastrophe, sondern um die Folge menschlichen Tuns – eben die Klimaerhitzung. „Das ist wissenschaftlicher Konsens und dass etwas getan werden muss, ist zuletzt durch das Pariser Klimaabkommen bestätigt worden.“

Bei der Klimakonferenz in der französischen Hauptstadt haben sich 2015 die Signatarstaaten verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, sodass die Erhitzung des Klimas bis zum Jahr 2100 mit 1,5 Grad Celsius gedeckelt wird. Das Protokoll ist mittlerweile völkerrechtlich verbindlich. Allerdings: Es enthält keine konkreten Sanktionsmechanismen.

Michaela Krömer bemängelt, dass es in Österreich keine geeigneten rechtlichen Mittel gebe, um gegen ein derartiges Versagen der Politik rechtlich vorzugehen. Das sei ein Verstoß gegen die Konvention der Menschenrechte (EMRK), den sie nun in Straßburg einklagen wird. „Klimakrise ist kein Schicksal. Und auch kein rechtsfreier Raum.“ Ein zentraler Punkt der Klage (die Krömer in den nächsten Tagen ausformulieren wird) ist die Argumentation, dass Österreich gegen den EMRK-Artikel 13 verstoße, zumal das Recht auf Beschwerde auf nationaler Ebene bei diesem Thema ungenügend verwirklicht sei. Herangezogen werden außerdem die Artikel 2 und 8 der Konvention.

Mehr und längere Hitzewellen

Das habe sich bei der im Herbst gescheiterten Klimaklage gezeigt – Da wurde in einem Individualantrag von mehr als 8000 Österreichern unter anderem argumentiert, dass die Förderpolitik den Verbrauch fossiler, klimaschädlicher Mobilität (Steuerfreiheit bei Treibstoffen für Flugzeuge gegenüber Besteuerung von Strom für Zugverkehr) forciere – und damit das Klima negativ beeinflusst werde. Für die Verfassungsrichter war die Suppe zu dünn, sie wiesen den Antrag ab.

Hans-Peter Hutter, Oberarzt am Institut für Umwelthygiene der Medizinischen Universität Wien sowie Gründer und Vorsitzender von „Ärzt*innen für eine gesunde Umwelt“: „Mex M. steht für einen nicht zu unterschätzenden Teil unserer Mitmenschen.“ Für jene nämlich, deren Wohlbefinden durch ein heißeres Klima beeinträchtigt wird. Das lasse sich deutlich beobachten und Österreich sei besonders betroffen: „Während im globalen Mittel die Temperatur um etwa ein Grad Celsius zugenommen hat, ist in Österreich die Erwärmung doppelt so hoch. Das führt dazu, dass die Zahl der Hitzetage zugenommen hat, die Hitzewellen sind häufiger geworden und dauern länger.“ Bei Fortgang der Entwicklung werde sich die Zahl der Hitzetage bis 2050 verdoppeln und bis 2100 verzehnfachen.“ Für den Organismus besonders belastend ist, dass es in den Nächten immer weniger abkühle. „Der Körper hat kaum noch Möglichkeit,  sich zu regenerieren.“

Paula D. (16), Klimaaktivistin

Die Leute fragen mich immer wieder, wieso ich Fridays For Future-Aktivistin bin. Ich antworte meistens, dass ich die Welt ändern will. Aber die Wahrheit ist, dass ich wütend bin. Letztens war ich draußen. Es hat 25 Grad gehabt. Im Februar. Ich habe meine Sonnenbrille aufgesetzt und wenn die Blätter nicht so verdorrt und Bäume im Wald nicht so kahl gewesen wären, hätte ich glauben können, dass August ist. Ein Februar sollte grau und gatschig sein, damit der Sommer noch orangerot und lauwarm sein kann.

Ich kann es mir nicht vorstellen, wie es sein muss, wenn die einzigen Jahreszeiten, in denen man noch auf beiden Beinen steht, langsam dem Leben entgleiten und einem mit fortwährendem Nichtstun der Verantwortlichen, wortwörtlich der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Mex spricht nicht nur für sich. Es gibt so viele, die hinter seinen Worten stehen, so viele, die seine Sicht durch andere Augen sehen. Wir sollten uns alle hinter Mex stellen. Er vertritt nämlich nicht nur seine Rechte, sondern auch unsere. Er fordert auch mein Recht auf Leben, unser Recht auf Gesundheit und das auf Beschwerde.

Ich bin es leid zu streiten. Können wir die Zukunft nicht gewinnen lassen? Sie steht nicht nur in den Sternen. Sie wird beeinflusst von den Entscheidungen, die alle Menschen heute treffen. Wenn die Politik nicht handelt, dann müssen wir es tun. Dann müssen wir Mex unterstützen. Denn man kann nicht wollen, dass noch mehr Menschen unter den Folgen der Klimakrise leiden.

Bloß weil manche von uns nicht als erste betroffen sind, bloß weil manche von uns noch Beine haben werden und keine zwei Räder,
leiden wir trotzdem alle unter der Klimakrise. Wer kann denn das noch ignorieren? Ich kann es nicht. Ich wette, wenn ich fragen würde, ob ihr ein Leben voll Klimagerechtigkeit und ein Österreich mit vier Jahreszeiten wollt, würdet ihr alle nicken. Unsere Wünsche sind sich doch eigentlich ziemlich ähnlich. Wir wollen nur eine Zukunft, die lebenswert ist. Wir wollen nur ein
gesundes Klima und Gerechtigkeit. Ist das wirklich zu viel verlangt?

Ich will Maßnahmen, die mich vor jeder Krise schützen. Ich will einen Staat, der die Menschenrechte wertschätzt. Wenn er das nicht tut, dann muss es eine Möglichkeit geben, sie einzufordern. Und so viele wünschen sich dasselbe. Wir sind Mex dankbar, dass er uns die Möglichkeit gibt, mit ihm unsere Stimmen zu erheben und seine Beschwerde und Hoffnung vor den Europäischen Gerichtshof der Menschenrechte zu tragen.

Es ist traurig, dass es in Österreich 30 000 Euro Verfahrenskosten braucht um gehört zu werden. Dass wir bis vor den Europäischen Gerichtshof müssen, um den PolitikerInnen das Oropax aus den Ohren zu ziehen. An den ganzen Freitagen, an denen wir geschrien haben und gebrüllt, haben sich doch zu viele die Ohren zugehalten.

Wir werden nicht aufhören. Keine Frage. Aber Mex und Michi haben die ersten Steine aus dem Weg geräumt, den wir mit ihnen zusammen gehen. Bis nach Straßburg und noch weiter.

Aktivismus ist so vielseitig, wie unsere Zukunft es sein soll. Gerade jetzt. In Zeiten, in denen mehr Babyelefanten als Menschen auf die Straße dürfen, muss Klimaaktivismus manchmal anders aussehen. Wir sind jung und mutig und die Welt kennt uns, auch wenn sie uns manchmal aus den Augen verliert.

Die Welt braucht uns, und wir brauchen eine Zukunft, in der ausnahmsweise nicht gesagt wird, was alles hätte gemacht werden können. Wir brauchen eine Zukunft, in der davon erzählt wird, was gemacht wurde. Verzögert und spät, aber doch. Ich möchte eine Gegenwart, in der Klimaschutz mehr ist, als der
Verzicht auf Plastiksackerl und Strohhalme.

Wir sind so viele, dass wir ein Crowdfunding von 30 000 Euro möglich machen können. Jeder Euro zählt! Wenn auch nur eine, von den Klimaklagen, die gerade ausgetragen werden, Recht bekommt, ist das ein großer Schritt in eine lebenswerte Zukunft. Wir brauchen Klimaschutz als Menschenrecht. Für unseren Planeten, für Mex und für alle.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kohlekraftwerk
Leitartikel

Flugscham wird uns nicht retten

Der globale CO2-Ausstoß ist wieder auf Vorkrisenniveau. Die Menschen wollen sich nicht ändern, also muss es die Technologie tun. Und wir müssen sie lassen.
Österreichs Exportindustrie hängt viel zu stark am Verbrennungsmotor, warnt Wifo-Chef Christoph Badelt.
Warnung

Exporte, Klima, Fachkräfte: Welche Krisen Corona verdeckt

Wifo-Chef Christoph Badelt fürchtet, dass Österreich in der Pandemie wichtige Themen vernachlässigt hat. Das könne dem Wirtschaftswachstum des Landes auf Jahre schaden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.