Kreisky: "Lästigen zum Schweigen bringen"

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Der israelischen Historiker Tom Segev präsentiert am Mittwoch in Wien seine Wiesenthal-Biografie. Die Enthüllungen werfen einen Schatten auf Bruno Kreisky. Er habe in Wiesenthal einen gefährlichen Gegner gesehen.

WIEN. Es war der Briefbomber Franz Fuchs, der die beiden Männer in den Neunzigerjahren, wenn auch ungewollt, einander näher brachte. Als Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit suchte Michael Sika damals Simon Wiesenthal auf, der ins Visier des Serienattentäters geraten war. In vielen, teils langen Gesprächen entwickelte sich wenn schon keine Freundschaft, so doch ein Verhältnis, das von gegenseitiger Sympathie getragen wurde. „Wir waren gut miteinander“, sagt Sika, heute 77, zur „Presse“.

Die Enthüllungen des israelischen Historikers Tom Segev, der seine druckfrische Wiesenthal-Biografie heute, Mittwoch, in Wien präsentiert, geben Sika nun einiges zu denken auf. Stand der Nazijäger tatsächlich zehn Jahre lang im Sold des israelischen Geheimdienstes Mossad? Ließ ihn Bundeskanzler Bruno Kreisky mit Hilfe des gesamten Staatsapparates bespitzeln?

Sika, dessen Karriere erst am Anfang stand, als der Konflikt zwischen Kreisky und Wiesenthal zu eskalieren drohte, bezweifelt jedenfalls Segevs zweite Behauptung: Nie hätte der Nazijäger eine Bespitzelung erwähnt. Er kenne außerdem die damalige Staatspolizei und viele ihrer Mitarbeiter: „Ich habe nie etwas in diese Richtung gehört. Aber das heißt natürlich gar nichts.“

Rathkolb: Bespitzel-Tradition

Das Duell der beiden jüdischen Männer, das Segevs Buch in ein neues Licht rückt, begann im Jahr 1970. Kreisky hatte mit Duldung der FPÖ eine SPÖ-Minderheitsregierung gebildet, als Wiesenthal aufdeckte, dass dem Kabinett vier ehemalige Nazis angehörten. Der Schlagabtausch geriet zur Staatsaffäre – und erreichte 1975 seinen Höhepunkt, als Wiesenthal beweisen wollte, dass FPÖ-Chef Friedrich Peter einer mordenden Brigade der Waffen-SS angehört hatte.

Kreisky war außer sich. Er warf Wiesenthal, einem KZ-Überlebenden, Mafia-Methoden vor und verdächtigte ihn, mit der Gestapo kooperiert zu haben. Der solcherart Beschuldigte reichte daraufhin eine Verleumdungsklage ein, die er später nur zurückzog, weil ihm ein gewisser Heinz Fischer, damals Klubobmann der SPÖ, mit einem Untersuchungsausschuss gedroht hatte. Segevs Meinung nach habe Kreisky in Wiesenthal einen gefährlichen Gegner gesehen und ihn geradezu „obsessiv“ verfolgen lassen.

Doch „Beobachtungen“ durch die Staatspolizei scheinen damals eher die Regel denn die Ausnahme gewesen zu sein. Es gebe in Österreich eine lange Tradition des Bespitzelns, sagt der Zeithistoriker Oliver Rathkolb. Die Behörden seien bisweilen auch aus Eigeninteresse aktiv geworden, nicht nur nach Aufträgen. Hannes Androsch, Finanzminister unter Kreisky, beschrieb es in der „Presse“ vor Kurzem so: „Wir alle, die eigenen Minister, sind unter Observierung der Staatspolizei gestanden.“

Einen Bericht von Justizminister Christian Broda an Kreisky, in dem zu lesen stand, was Wiesenthal während eines Fluges zum Passagier neben ihm gesagt hatte, würde Rathkolb – anders als Segev – nicht überbewerten: „Das war eine legitime Information des Kanzlers durch den Justizminister.“ Im Übrigen sei Kreisky in seiner Kanzlerzeit mehr observiert worden als Wiesenthal in seinem ganzen Leben, meint Rathkolb. „Man kann die Zeit des Wiederaufbaus nicht mit den heutigen Kategorien bewerten.“

Diese Meinung teilt Andreas Khol, 69, heute Obmann des ÖVP-Seniorenbundes: „Kreisky hat etwas getan, was in der Nachkriegszeit durchaus üblich war. Aber er hat die Grenze überschritten.“ Segevs Buch hat Khol zwar nicht gelesen, aber Auszüge in etlichen Medien. „Offenbar wollte man etwas gegen Wiesenthal finden, weil er Peter und vier SPÖ-Minister aufgeblattelt hatte.“ Die Enthüllungen würden einen Schatten auf Kreisky werfen: Er habe nach dem Motto „Wer ein Nazi ist, bestimme ich“ agiert und versucht, „einen lästigen Kritiker zum Schweigen zu bringen“.

Sika: Wie bei Helmut Zilk?

Dass Wiesenthal, der ÖVP-Sympathisant, „auch kein Engel war“, will Khol erst gar nicht bestreiten. „Aber selbst seine kühnsten Behauptungen hatten einen wahren Kern.“ Welchen Anteil der Mossad an Wiesenthals Erfolgen hatte, vermag Khol nur zu vermuten: „Ich glaube nicht, dass Wiesenthal ein Agent war. Aber er hat Geld bekommen, weil er eine große Hilfe war.“

Sika sieht das ähnlich: „Wiesenthal war auf den Mossad angewiesen.“ Im Grunde könnte es wie beim verstorbenen Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) gewesen sein, der im Verdacht stand, für den tschechischen Geheimdienst spioniert zu haben: „Dabei war Zilk bloß eine offene Quelle, weil er viel geredet hat.“ Und selbst wenn Wiesenthal ein Agent war, wie Segev behauptet: „Ich“, sagt Sika, „könnte daran nichts Schlechtes finden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2010)

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