Geschichte

Antike Stadt Ur als zentraler Ort der Papst-Visite im Irak

A general view of the ancient archeological site of Ur, traditionally believed to be the birthplace of Abraham, ahead of the planned visit of Pope Francis, in Ur near Nassiriya
A general view of the ancient archeological site of Ur, traditionally believed to be the birthplace of Abraham, ahead of the planned visit of Pope Francis, in Ur near NassiriyaREUTERS
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Heutiges Tell el-Muqayyar in der Wüste des Südiraks gilt als Heimat Abrahams, den Juden, Muslime und Christen als gemeinsamen Stammvater verehren. Berühmt dort ist die 4000 Jahre alte Zikkurat, ein sumerischer Stufentempel.

Papst Franziskus besucht bei seinem am Freitag beginnenden Irak-Besuch Ur, eine der ältesten Städte der Menschheit. Am Samstag will Franziskus dort mit Vertretern anderer Religionen in dem von ethnischen und konfessionellen Gegensätzen zerrütteten Land um Frieden beten. Die rund 4000 Jahre alten sumerischen Ruinen in der Wüste des Südirak sind von symbolischer Bedeutung: Ur, heute Tell el-Muqayyar, gilt als Heimat Abrahams, den Juden, Muslime und Christen als gemeinsamen Stammvater verehren.

Nach biblischer Überlieferung gelangte Abraham über Harran an der heutigen türkisch-syrischen Grenze ins südliche Palästina, wie die Agentur Kathpress im Vorfeld der Reise resümierte. Dort erhielt er die göttliche Zusage des Landes und einer Nachkommenschaft "so zahlreich wie die Sterne am Himmel".

M. Lubinski/CC BY-SA 2.0

Von Abrahams Sohn Isaak leiten sich die Stämme Israels her; der Koran schildert Abraham als "Freund Gottes" und Erbauer des Heiligtums von Mekka, also praktisch als den ersten Moslem. Christen sehen sich ihrerseits als Erben seiner Verheißung.

Anlässlich der Jahrtausendwende wollte sich schon Johannes Paul II. (1978-2005) "wenn es Gottes Wille ist, gern nach Ur in Chaldäa, dem heutigen Tell el-Muqayyar im südlichen Irak begeben - in die Stadt also, wo nach biblischem Bericht Abraham das Wort des Herrn vernahm". Sein Plan scheiterte am damaligen Machthaber Saddam Hussein.

Ausgrabungen seit 1922

1625 sah der italienische Künstler und Reisende Pietro Della Valle als wohl erster neuzeitlicher Europäer Reste der Stadt, deren Existenz aber erst ab etwa 1850 durch Berichte britischer Offiziere und Forscher breiter bekannt wurde. Ur wurde systematisch ab 1922 durch den britischen Archäologen Leonard Woolley ausgegraben. Er entdeckte rund 2000 antike Gräber, in einigen von ihnen königliche Beigaben, ein Lapislazuli-Mosaik, goldene Prunkwaffen. Die Funde elektrisierten die Öffentlichkeit ähnlich wie das Pharaonengrab Tutanchamuns in Ägypten.

Keilschrifttexte belegen die Bedeutung Urs als politisches Zentrum mit vielfältigen Handelsbeziehungen und einer ausgefeilten Bürokratie. Einst floss der Euphrat nahe vorbei, spendete Leben und Wohlstand. Über Schiffskais und Karawanenstraßen kamen Güter aus Kurdistan und vom Persischen Golf, ja selbst aus Indien; Werkstätten produzierten Webwaren für den Export. Um die 60.000 Menschen bevölkerten Ur, unter ihnen Zuwanderer aus anderen Ländern.

Ausweis der Bedeutung der Stadt ist die Zikkurat, ein monumentaler Tempelturm für den Mondgott Nanna. Der sumerische König Ur-Nammu und sein Sohn Schulgi errichteten den Bau vor mehr als 4000 Jahren, konkret etwa zwischen 2100 und 2050 oder sogar noch bis 1980 vor Christus, die Datierung ist kompliziert.

Steve Harris/CC BY-SA 2.0

Seine mächtigen Mauern aus gebrannten Ziegeln in der weiten Ebene unterstreichen den Geltungsanspruch der Erbauer und den Rang Urs als politisches Zentrum mit weitreichendem Einfluss. "Auf diesem Nimbus bauen alle späteren Zeiten auf", sagt Margarete van Ess, Leiterin der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts.

„Abrahams Haus"

Diese Blütezeit liegt indessen lange vor dem Entstehen der Abrahamserzählungen. Aus archäologischer Sicht gibt es keinen Beleg, dass der Stammvater dort lebte - aber Woolley half der Mythos Abraham, Geld für seine Grabung einzuwerben. Auch vor dem geplanten und kurzfristig abgesagten Papstbesuch im Jahr 2000 versuchte man den biblischen Charakter durch das sogenannte „Abrahamshaus" hervorzuheben. "Für Archäologen ein bisschen misslich, weil man mehrere Häuser zu einem Gehöft zusammenrestaurierte", sagt van Ess. Es sollte halt nach was aussehen.

REUTERS

Ur verlor ab etwa 1980 bis 1900 vor Christus leicht an Bedeutung, blieb aber als wichtiger Handelsknotenpunkt weiter wichtig, auch wenn andere Städte wie Babylon zu Machtzentren wurden. Über die Jahrtausende herrschten andere Völker über die Stadt, darunter Babylonier, Kassiten und Assyrer. Etwa ab 530 v. Chr. beginnt allerdings unter dem Altpersischen Reich ein recht rascher Verfall, der mit der Entvölkerung der Stadt irgendwann im 5. Jht. v. Chr endet. Als mögliche Ursachen gelten Trockenheit, veränderte Flussläufe und Handelswege.

Bombentreffer in der Nähe

Seit dem Ersten Golfkrieg 1980 findet in Ur nur noch selten Feldforschung statt. Dafür hinterließen Konflikte Schäden, nicht zuletzt wegen des benachbarten Luftwaffenstützpunkts. Nach dem Auftauchen von Fotos geparkter irakischer Kampfflugzeuge vor dem Monument gingen im Zuge der "Operation Wüstensturm" 1991 neben dem Tempel Bomben nieder und übersäten die Wände mit Pockennarben. Später wurden antike Vorstädte planiert. "Archäologisch eine Katastrophe", sagt van Ess.

Samantha Ciaramitaro/U.S. Army

Restaurierungen aus den 1940er- und 1950er Jahren zerfallen allmählich, so die Wissenschafterin. Die extreme Verdunstungshitze zieht Bodenfeuchte und Salze ins Mauerwerk; hinter der modernen Ziegelschale mit Zementfugen erodiert die alte Substanz. Fachleute unterschiedlicher Nationen beteiligen sich am Erhalt des Weltkulturerbes im Marschland. Doch seit der Pandemie liegen Aktivitäten vor Ort brach.

An sich ein programmierter Besuchermagnet

Ur hätte laut der Orient-Expertin van Ess Chancen als Besuchermagnet. Der Irak setzt auf eine Erschließung; Holzbohlenwege, Drainagen und Beschilderungen machen einen Anfang. Bildungsreisende aus dem Westen allein könnten allerdings "keinen Ökonomen hinter dem Ofen hervorlocken", so die Archäologin. Touristische Infrastruktur fehlt, das Klima ist hart. Dafür ist nach van Ess' Einschätzung der Pilgerverkehr im Irak "extrem im Wachsen". Millionen von schiitischen Wallfahrern zu den heiligen Stätten in Nadschaf und Kerbela laufen Mekka den Rang ab. Viele von ihnen würden sich sicher auch nach Ur aufmachen - in die Stadt des Gottesfreundes Ibrahim, so der arabische Name Abrahams.

(APA/AFP/wg)

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