Gegen den Ex-Minister wird wegen Steuerhinterziehung verhandelt. Dabei ist die Öffentlichkeit komplett ausgeschlossen. Das sorgt für Kritik.
Ein früherer Finanzminister steht – ausgerechnet – wegen Steuerhinterziehung vor Gericht. Und niemand darf zusehen. Dies geschieht aktuell im Straflandesgericht Wien.
Karl-Heinz Grasser und sein früherer Steuerberater haben (Beteiligung an der) Abgabenhinterziehung zu verantworten, wollen aber ihre Steuergeheimnisse (böse Zungen würden sagen: ihre Steuertricks) nicht offen abhandeln. Das ist verständlich.
Dennoch: Schießt ein rigoroser Ausschluss der Öffentlichkeit – nicht einmal beim bloßen Vortrag der Anklage war Publikum zugelassen – nicht übers Ziel hinaus? Schließlich existiert ein (in diesem Fall besonders großes) öffentliches Interesse. Und den Medien kommt auch noch die Funktion eines Public Watchdog zu.
Nun, der Ausschluss der Öffentlichkeit in diesem Steuerhinterziehungsprozess (es geht um zwei Millionen Euro, die Grasser laut Anklage im Rahmen seiner Managertätigkeit im Meinl-Imperium an den Staat hätte abführen müssen) ist im Finanzstrafgesetz (§ 213) geregelt. Der Richter hatte also eine handfeste Grundlage, als er auf Antrag der Angeklagten die Zuschauer des Saales verwies.
Aber ist ein solches Gesetz (noch) verfassungsmäßig? Um dies beantworten zu können, muss man wissen, warum es – im Normalfall – den Öffentlichkeitsgrundsatz gibt. „Um den Angeklagten vor Kabinettsjustiz zu schützen. Dieser Grundsatz ist eine Art Grundrecht des Angeklagten, nicht ein Recht der Öffentlichkeit.“ Das erklärt Anwältin Claudia Bogensberger. Wenn der Angeklagte diesen „Schutz“ preisgibt und dafür sein Steuergeheimnis wahrt, sei das seine Sache. Außerdem sei selbst dann noch die Öffentlichkeit an Bord – weil nämlich im Gerichtssenat zwei Volksvertreter (Schöffen) sitzen.
Wenn nun aber jemand diese „Geheimniskrämerei“ nicht hinnehmen will, käme eventuell ein Individualantrag an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) infrage. Würde etwa ein Medienvertreter versuchen, den Ausschluss-Passus zu Fall zu bringen, bräuchte er einen konkreten Grund – dies gibt wiederum Anwalt Günther Rebisant zu bedenken. Der Beschwerdeführer müsste ein verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht anführen, in welchem er sich verletzt sieht. Es böte sich der Artikel 10 Menschenrechtskonvention an, die Garantie der freien Meinungsäußerung.
Anwalt Michael Rohregger wendet ein: Nicht ein Gesetz an sich hat den Ausschluss der Öffentlichkeit bewirkt. Sondern ein richterlicher Beschluss. Klar: Es war der Vorsitzende Richter, der die Beobachter verbannte. Was also tun? Vorstellbar wäre, dass man einen Akt der Zwangsgewalt herbeiführt, indem man den Saal betritt und postwendend desselben verwiesen wird. Diesen Verweis könnte man vor dem Verwaltungsgericht bekämpfen – und mit dem Erkenntnis vor den VfGH ziehen. Mit dem laufenden Grasser-Prozess hätte das alles aber nichts mehr zu tun.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2021)