Neuer Anlauf für Gentech-Lebensmittel

Symbolbild: Mais.
Symbolbild: Mais.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Gentechnik-Industrie will mit „Präzisionszüchtungen“ einen leichteren Zugang zum Markt in Europa. Es geht um die Kennzeichnung „neuer Gentechnik“. Umweltschützer befürchten, dass die EU vor Lobbys in die Knie geht.

Während die Anwendung der Gentechnik in der Medizin und Pharmazie völlig außer Streit steht, ist diese Technologie in Lebensmitteln bei Konsument*innen jedenfalls mehrheitlich unbeliebt. Den Anbau zugelassen hat die EU lediglich für eine veränderte Pflanze (Monsanto Mais); diese Genehmigung stammt aus dem Jahr 1998. Der Verkauf von weniger als 100 Pflanzen ist zugelassen. Es besteht Kennzeichnungspflicht. In Österreich hat sich der Handel dazu verpflichtet, keine gentechnisch veränderten Lebensmittel zu verkaufen.

Alles gut? Nicht unbedingt: Denn Umweltschützer warnen, die EU hat eine Umfrage in die Mitgliedsstaaten ausgeschickt, offenbar um die Stimmung auszuloten, und nun wird bereits die Umfrage selbst zum Zankapfel.

Der Reihe nach. In Erinnerung ist den meisten die herkömmliche Gentechnik: Dabei wurden Gen-Sequenzen der einen Art in die Gene einer anderen gesetzt, um somit zum Beispiel eine größere Toleranz gegenüber Chemieeinsatz in der Landwirtschaft zu entwickeln. In Europa war dieser Ansatz ein glatter Fehlschlag, insbesondere in Nord- und Südamerika jedoch nicht.

Weizen ohne Gluten

Mittlerweile will sich für den Lebensmittelbereich eine neue Spielart der Gentechnik etablieren, eben die „neue Gentechnik“. Die funktioniert im Grunde ähnlich wie die seit langem bekannte Methode, lediglich mit dem Unterschied, dass sich das Geschehen nun innerhalb einer Art abspielt – dass an bestimmten Stellen in der DNA eines Organismus Schneideenzyme eingesetzt werden, um die DNA an diesen Stellen zu verändern. Und damit die Eigenschaften: So sollen Krankheitstoleranzen, Widerstandsfähigkeit gegen Hitze oder bestimmte Eigenschaften „implantiert“ werden.

Auf diesem Wege könnte Gluten aus Weizen verschwinden oder eine Pflanze bekäme eine Rucksack voller Ballaststoffe in die Gene. Im Detail vorhersehbar ist das Ergebnis übrigens nicht, denn die Technologie arbeitet unter Ausnutzung von Reparaturmechanismen der Zellen, und die agieren nicht immer gleich.

Hier haken die Kritiker ein: Die Unsicherheit könne auch dazu führen, dass eine ungewünschte, aber nicht mehr rückholbare Änderung geschaffen werde. „Außerdem“, wendet Brigitte Reisenberger ein, „hören jetzt wieder die gleichen Versprechungen, die bei der Arten überschreitenden Gentechnik gebracht worden sind.“ Sie ist Landwirtschafts- und Gentechnik-Sprecherin bei der Umweltorganisation „Global 2000“. „Die Versprechungen gingen ins Leere, auf den Äckern wurde mehr Chemie eingesetzt, nicht weniger.“ Reisenberger kritisiert außerdem, dass es in der Industrie Bestrebungen gebe, Mikroben zu verändern und auf den Markt zu bringen, um etwa bei der Produktion stickstoffbindender Pflanzen eingesetzt zu werden. Mikroben werden bisher im Labor eingesetzt. Deren Freisetzung berge ungeahnte Risiken in sich.

Nachdem die Industrie versucht hatte, die Verfahren in Europa zu etablieren, scheiterte der Expansionsdrang am Europäischen Gerichtshof: Der hat der Rechtsmeinung eine Abfuhr erteilt, dass die „neue Gentechnik“ gar keine Gentechnik im juristischen Sinn sei (und damit den Zulassungs- und Kennzeichnungserfordernissen für Gentechnik zu entsprechen habe), sondern lediglich eine „neue Züchtungsmethode“, „Präzisionszucht“ oder „Genom-Editierung“. Gentechnik bleibt also Gentechnik.

EU und Neuseeland halte am Vorsorgeprinzip fest

Diese richtungsweisende Entscheidung erging im Mitte 2018. Knappe eineinhalb Jahre später hat die Kommission einen Fragebogen an alle Mitgliedsländer ausgeschickt: Erste Adressaten waren die zuständigen Ministerien, einen Fragenkatalog (allerdings mit anderen Fragen) haben auch Umweltorganisationen, Lobby-Gruppen und andere „Stakeholder“ zugeschickt bekommen.

Auch das ein Stein des Anstoßes. Zunächst wird kritisiert, dass es diesen Konsultationsprozess überhaupt gebe, nach der EuGH-Entscheidung sollte ohnehin alles klar sein. Und außerdem ist es die Durchführung rund um die europaweite Befragung, die Umweltorganisationen aufmerksam werden lässt. Die Beteiligung der Industrie sei überproportional, außerdem seien die Fragen streckenweise tendenziös. Nur drei von insgesamt 29 Fragen behandeln potentielle Risiken der Technologie, sieben die wirtschaftlichen Aspekte. Global 2000 und „Friends of the Earth“ vermuten hier die intensive Arbeit von Industrie-Lobbyisten dahinter. In dieses Bild passe, dass die Befragungsergebnisse nicht veröffentlicht werden. Die Kennzeichnungspflicht habe zentrale Bedeutung: Denn bereits jetzt beherrsche Gentech-Soja und -Mais den Markt in Nord- und Südamerika.

Desinteressierte Interessensvertreter: 54 % Rücklauf

„Presse“-Recherchen bei der Europäischen Kommission ergaben, dass ein Mitgliedsstaat an der Online-Befragung nicht teilgenommen hat, alle anderen aber die 24 Fragen beantwortet haben. Für alle anderen Stakeholder wurde ein ähnliches (aber eben nicht gleiches) Set von insgesamt 29 Fragen online gestellt (die Fragebögen liegen der „Presse“ vor). Insgesamt 107 Interessensverbände, Organisationen und Umweltverbände wurden eingeladen, 72 haben Interesse gezeigt, aber nur 58 alle Fragen beantwortet.

Armin Spök, Mitglied der Arbeitsgruppe „Wissenschaft, Technik und Gesellschaft“ an der Technischen Universität in Graz, beobachtet die unterschiedlichen Regelwerke im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen, sowohl nach herkömmlicher Methode als auch nach „neuer Gentechnik“. Er hat unter anderem an Studien zu diesem Thema gearbeitet und sagt: „Derzeit ist die Regelung für ,neue Gentechnik' in der EU und in Neuseeland streng und gleich wie bei bisheriger Gentechnik. USA, Kanada, Brasilien, Argentinien und Australien haben für manche Formen der neuen Gentechnik Regelungen mit weniger strengen Auflagen. Unklar ist derzeit die Situation in China, Indien und Russland.“ Und schließlich sei zu beobachten, dass sich die Regulierungsbehörden in Norwegen und Großbritannien in Richtung Liberalisierung der Auflagen bewegen.

Anschober: „Definitiv“ nichts aufweichen

Reaktionen: Der österreichische Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) übermittelte der „Presse“ ein Statement zur laufenden Diskussion. Anschober meint, dass der Rat die Kommission beauftragt habe, die Auswirkungen des EuGH-Urteils auf die bestehende GVO-Gesetzgebung in der EU zu analysieren. Und: „Es ist unbestritten, dass wir durch die Klarstellung des EuGH vor allem in der Kontrolle vor großen Herausforderungen stehen."

„Bis jetzt gibt es kaum Analysemethoden, die zumindest einige dieser Techniken wirklich eindeutig und rechtsverbindlich nachweisen können. Hier brauchen wir Lösungen. Aber definitiv ohne die drei Grundpfeiler Vorsorgeprinzip, wissenschaftliche Risikobewertung und Kennzeichnungspflicht aufzuweichen. Meine Position ist glasklar: Produkte die durch die ,neue Gentechnik' hergestellt wurden müssen auch künftig unter die Vorgaben des europäischen Gentechnikrechts (Risikobewertung, Zulassung, Kennzeichnung) fallen und das werde ich auch weiterhin in Brüssel unmissverständlich zum Ausdruck bringen."

Bericht von „Friends of the Earth“ über die „neue Gentechnik“.

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