Serie

Diese wilde, diese fügsame Jugend

We Are Who We Are
We Are Who We AreHBO
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Luca Guadagnino („Call Me by Your Name“) erzählt in „We Are Who We Are“ wieder von Teenagern. Er hat dafür acht Stunden Zeit, und man möchte ihm ewig dabei zusehen.

Ein Bub. Ein Bursch. Ein Teenager. Mit blondierten Wuschelhaaren, die schon schwarz nachgewachsen sind, in übergroßen Hosen, Sneakers. Die Kamera zeigt seine Hände mit den nachlässig lackierten Nägeln, gelb und schwarz, abwechselnd, und ja, da staunt man. Nicht, weil er so außergewöhnlich wäre, dieser 14-Jährige, sondern im Gegenteil, weil wir ihm jederzeit begegnen könnten, im Zug, im Supermarkt oder eben auf dem Flughafen. Wie aus dem Leben gegriffen und in den Bildschirm gehupft lehnt er da am Lost-and-Found-Schalter, das Gepäck ist nicht angekommen, das nervt ihn, aber es langweilt ihn auch. Drum kümmern müssen sich eh seine Eltern. Und dann passiert doch etwas Unerwartetes: Er greift in die Handtasche seiner Mutter, klaut ein Wodkafläschchen, die versucht noch kurz einzugreifen, aber er ist schneller: „Nur einen Schluck“, ruft sie. Aber er nimmt drei.

Eine kurze Passage. Und wir haben so viel erfahren! Über den Buben. Seine Mutter. Die beiden.

Die Ordnung und das Chaos

Schon „Call Me by Your Name“ heftete sich an die Fersen von Heranwachsenden, damals begleitete Luca Guadagnino den 17-jährigen Elio durch den Sommer, und wir durften mitreisen in dieses vor Hitze flirrende Italien, in diese großbürgerliche Welt, in der jeder fließend mehrere Sprachen sprach und man Freunde einlud, einen in der Sommerfrische zu besuchen. In „We Are Who We Are“ ist es auch wieder Sommer, und wieder sind wir in Italien, in der Nähe von Chioggia, aber das Milieu könnte unterschiedlicher nicht sein: Wir finden uns in einer US-Militärbasis wieder, die Mutter von Fraser, so heißt der Bursch mit den schwarz-blonden Wuschelhaaren, tritt dort als Kommandantin an. Was für ein Ambiente: Ein Bungalow gleicht dem anderen, der Rasen ist rappelkurz geschnitten, auf den am Reißbrett entworfenen Wegen marschieren Soldaten. Im Inneren: Topfpflanzen. Kaffeeautomaten. Porträts der Präsidenten.

Die Enge und der Ausbruch. Die Ordnung und das Chaos. Die Erwachsenen und die Teenager. Das sind die Themen dieser Serie. Schon am ersten Tag entwischt Fraser (Jack Dylan Grazer) ans Meer, er trinkt billigen Wein aus dem Tetrapack, balanciert auf dem Heimweg betrunken auf einem Brückengeländer, stürzt, kotzt. Später wird er mit anderen in ein Haus einbrechen, das leer steht, sie werden Spaghetti essen und kiffen und trinken und tanzen und vögeln. Am Morgen muss einer von ihnen nach Afghanistan. Sie feiern. Und sie fügen sich. Sie brechen aus. Und kehren zurück. Aber sie wissen immer: Da gibt es diese Welt, diese Clique, die Jugend, die gehört nur ihnen.

Luca Guadagnino ist ein Meister der kleinen Szenen, der Nuancen, der Unsicherheiten, die Bilder frieren ein, irgendein Spotify-Song übertönt die Gespräche, alles scheint offen: Fraser lernt Caitlin (Jordan Kristine Seamoń) kennen, alle glauben, sie sind ein Paar, aber sie versprechen einander, sich niemals zu küssen. Sam bricht mit seiner Freundin, auf einer Sporttribüne sagt er ihr, dass es „aus“ ist, unf ist dann traurig. Warum? Warum ist Caitlins Bruder so verstört? Warum kann Fraser seine Mutter an den Haaren reißen und nichts passiert? Fragen, lauter Fragen und wir schauen zu, wir wollen immer weiter schauen, auch wenn wir vielleicht nie eine Antwort bekommen.

„We Are Who We Are“, Miniserie, acht Folgen, zu sehen ab Sonntag auf dem Amazon-Channel Starzplay.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2021)

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