Gastkommentar

Zurück zur „Vor-Corona-Normalität“ ist nicht genug

Frauen im Supermarkt
Frauen im SupermarktAPA/HELMUT FOHRINGER
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Build back better: Anmerkungen zum Internationalen Frauentag.

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Wir wissen nicht, wie es Ihnen geht, wir wollen nicht zurück zur „Vor-Corona-Normalität”. Unser Wunsch wäre es diese Pandemie zu besiegen und zugleich fairere und nachhaltigere Gesellschaftsstrukturen aufzubauen - gerade jetzt wo es möglich ist.

Beobachtet man das mittlerweile einjährige Krisenmanagement der Regierung, bekommt man den Eindruck, als würde die Politik auf Drängen der Gesellschaft alles tun, um ja wieder dort hinzukommen, wo es zuvor ohnehin schon für viele nicht fair und nicht nachhaltig war.

Es ist menschlich, sich an Gewohnheiten zu klammern („Ich will mein Leben zurück”) und es ist politisch, an eingefahrenen Überzeugungen festzuhalten. Doch wissen wir leider schon zu viel über die wirtschaftlichen und sozialen Langzeitfolgen dieser Pandemie, die uns zu mutigeren Schritten antreiben müssten. Wir wissen, wen und wie die Krise am meisten trifft und treffen wird, auch wenn diese schon längst vorüber sein wird. Wir wissen, dass das Coronavirus kein großer Gleichmacher ist und trotzdem fehlt es an gezielten Maßnahmen für Frauen.

Es ist richtig und gut im Kampf gegen Corona die Ansteckungsrate zu reduzieren, und die Wirtschaft durch Hilfen so gut es geht vor dem völligen Einbruch zu schützen. Es ist aber auch unbedingt notwendig, dass Gesellschaft und Wirtschaft integrativer und ökologischer werden müssen. Nur so werden wir in Zukunft krisentauglich. Mit der „Normalität” vor Corona dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Sehen wir denn nicht gerade wie verletzlich wir sind?

Frauen werden am härtesten getroffen

Als Teil der jüngeren Generation machen wir uns in Bezug auf den Internationalen Frauentag am 8. März Sorgen: Während alle vor beispiellosen Herausforderungen stehen, tragen Frauen die Hauptlast der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen von Covid-19.

In Österreich stieg die Frauenarbeitslosigkeit im Zeitraum von Jänner 2020-2021 um 42,4 Prozent deutlich mehr als die bei Männern (25,2 Prozent). Eine Großzahl von Frauen, die nicht gekündigt wurden, sind oft in systemrelevanten Berufen tätig. Jobs, die nicht gut bezahlt sind, in denen Frauen für die gleiche Arbeit noch weniger als Männer bekommen und zugleich einem hohen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Das sind beispielsweise die Kassiererinnen und die Krankenschwestern. Jene Berufe, über deren Gesellschaftsrelevanz wir vor der Krise nie nachgedacht haben, die wir dann beklatschten, jetzt wertschätzen und nach der Krise wohl bald wieder vergessen. In Österreich lag 2020 der Anteil von Frauen im Pflege- und Gesundheitsbereich bei 85 Prozent. Berufe, die in die unteren Einkommensgruppen fallen und bei denen Frauen schon vor der Krise 14 Prozent weniger bezahlt wurde als Männer.

Dazu kommt, dass schon vor der Pandemie in der EU Frauen jede Woche 13 unbezahlte Stunden mehr als Männer mit Pflege und Hausarbeit einbrachten. Wissen wir nicht alle, dass unsere formelle Wirtschaft nur möglich ist, weil sie durch die unbezahlte Arbeit von Frauen subventioniert wird?

Wie Alleinerziehende, deren weiblicher Anteil in der EU rund 85 Prozent beträgt, Kinderbetreuung, Hausarbeit und Job vereinbaren ist kaum vorstellbar. Es ist aber umso nachvollziehbarer, dass fast 50 Prozent aller alleinerziehenden Mütter in der EU von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind.

Als wäre das nicht schon genug, wurden Frauen durch Corona weltweit wie auch in Österreich vermehrt Opfer häuslicher Gewalt. Allein in österreichischen Städten mit mehr als 50.000 EinwohnerInnen wurde der Polizei laut einer Analyse des Markt- und Meinungsforschungsinstituts OGM nach dem ersten Lockdown um 26 Prozent mehr Fälle von häuslicher Gewalt gemeldet. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Wie konnte bei einer Pressekonferenz im September 2020 Frauenministerin Raab da zu dem Schluss kommen, dass man hinsichtlich häuslichen Gewalt „gut durch die Krise gekommen sei”?

Es ist eindeutig: Während der Coronakrise wurden Frauen in der Gleichstellung mit Männern um Jahre zurückgeworfen. Und die negativen Auswirkungen werden mit dem Ende der Pandemie nicht plötzlich verschwinden. Forschungsergebnisse zu Langzeitfolgen früherer Krisen zeigen, dass sich männliche Einkommen viel schneller erholen als die von Frauen. Das liegt sehr oft daran, dass es für Männer um ein Vielfaches leichter ist, wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Die Berufstätigkeit der Frauen hängt immer auch vom Angebot an Kinderbetreuung ab.

Besser wäre, wenn…

Ideen gibt es genug, und diesmal soll’s auch nicht am Geld scheitern. Österreich wird drei Milliarden Euro aus dem Aufbauplan der EU erhalten. Über 50 Prozent dieser Mittel müssen in die Modernisierung fließen. Ein Kernelement auf das sich die 27 Mitgliedsstaaten geeinigt haben, ist die Gleichstellung der Geschlechter. Auch weil es, abgesehen aller moralischen Argumente, schlichtweg wirtschaftlich Sinn macht: Einer Studie des McKinsey Global Institutes zufolge könnten im nächsten Jahrzehnt 13 Trilliarden Dollar zum globalen BIP hinzukommen, wenn jetzt Maßnahmen zur Gleichstellung der Geschlechter ergriffen würden.

Gerade vor diesem Hintergrund ist es höchste Zeit zu fordern: „Nie wieder, soll es so werden wie es war“. Denn eigentlich ginge vieles besser.

Besser wäre, wenn Männer und Frauen die Arbeitszeit flexibler gestalten könnten, damit die Familienarbeit aufgeteilt werden kann.

Besser wäre, wenn sich die Anerkennung “Typischer Frauenberufe” endlich auch in der Bezahlung widerspiegelt.

Besser wäre, ein bedarfsorientierter Ausbau von Kinderbetreuung im Vorschulalter und von Ganztagsschulen.

Besser als nur abzuwarten, wäre in den verbleibenden Corona-Monaten ein starkes Angebote für Frauen zur Umschulung auf zukunftsrelevante Jobs zu schaffen.

Zurück zur „Vor-Corona-Normalität“ ist nicht genug. Die Zeit nach der Krise muss für Frauen gewaltige Verbesserungen bringen. Es liegt in unserer Verantwortung das Fundament dafür bereits heute zu legen und die Pandemie als Chance wahrzunehmen - zum Wohle von uns allen.

Die Autoren

Azra Dizdarevic (32) ist Juristin und seit Ende 2020 Bezirksrätin und Frauenbeauftragte der Grünen im 8. Wiener Gemeindebezirk.

Joseph Waldstein (33) ist ehemaliger Pressereferent der Europäischen Kommission für Erziehung und hat PROJECT-E, eine NGO für äthiopische Frauen mitaufgebaut.

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