Gastkommentar

Der diplomatische Türöffner

Die USA und der Iran haben nun eine echte Chance das Atomabkommen aus dem Jahr 2015 zu retten. Sie sollten schnellstmöglich durch die Türe gehen, die Rafael Grossi für sie geöffnet hat. Denn der Erfahrung nach schließt sich die Tür wieder schnell.

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Es begann im Januar 2018 mit einer spektakulären Aktion des israelischen Geheimdienstes. Mossad-Agenten drangen in der Nacht in eine scheinbar unauffällige Lagerhalle in der iranischen Hauptstadt Teheran ein, nachdem sie diese wochenlang unbemerkt beschattet hatten.

Israel war sich sicher, dass der Iran dort sämtliche Informationen zu einem geheimen Atomprogramm aus früheren Jahren lagerte, und diese der Weltöffentlichkeit verschwieg.

Innerhalb weniger Stunden stahlen die israelischen Agenten aus der Lagerhalle zehntausende Atomdokumente, abgelegt in Mappen und gespeichert auf CDs. Laut Israels Premierminister Benjamin Netanjahu ging aus den Dokumenten hervor, dass es vor zwei Jahrzehnten ein umfangreiches, geheimes Atomprogramm im Iran gab.

In den USA hatte damals noch Donald Trump das Sagen. Er fühlte sich durch das israelische Geheimdienstmaterial, das Israel mit dem verbündeten Washington teilte, bestätigt. Der damalige amerikanische Präsident und sein Außenminister Mike Pompeo waren der Meinung, dass man dem Iran nicht trauen konnte, und daher auch der Atomdeal aus dem Jahr 2015 verworfen werden sollte.

Harte Sanktionen

Tatsächlich verkündete Trump im Mai 2018 nur knapp drei Monate nach der spektakulären Mossad-Aktion im Iran den Ausstieg Washingtons aus dem Atomabkommen. Weitere harte wirtschaftliche Sanktionen gegen den Iran folgten.

Israel teilte die im Iran gestohlenen Daten noch im selben Jahr auch mit der in Wien in der UNO-City ansässigen Atomenergiebehörde (IAEA), die ihrerseits begann die Geheimdienstinformationen zu überprüfen. Die Inspektoren der IAEA identifizierten mehrere Standorte im Iran, die sich aus den israelischen Informationen ergaben, und die ihrer Ansicht nach überprüft werden sollten.

Doch der Iran legte sich quer, blockierte für mehrere Monate den Zugang der IAEA-Inspektoren zu diesen Standorten, und setzte zudem in Reaktion auf den US-Ausstieg aus dem Atomdeal weitere gefährliche Schritte der Urananreicherung.

In dieser aufgeheizten Stimmung betrat IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi die Bühne. Der argentinische Karrierediplomat, der erst im Oktober 2019 zum neuen IAEA-Chef gewählt worden war, reiste im August des letzten Jahres trotz Coronakrise in den Iran. Er verhandelte mit dem iranischen Präsidenten, dem Außenminister und dem iranischen Atomchef, und erreichte dadurch Zugang zu den ausgewählten Standorten im Iran für seine Inspektoren.

Bereits im September reisten die IAEA-Kontrolleure in den Iran, und sammelten Proben, die sie in gecharterten Flugzeugen nach Wien flogen, und in das IAEA-Labor in Seibersdorf zur Untersuchung brachten.

Danach war vorerst Ruhe.

Die US-Wahl wurde im November geschlagen und Joe Biden, ein Befürworter des Atomabkommens mit dem Iran, wurde zum Präsidenten gewählt. Doch noch bevor er überhaupt in das Weiße Haus einziehen konnte, wurde Ende November, wenige Wochen nach der US-Wahl, ein tödlicher Anschlag auf den wichtigsten iranischen Atomphysiker, Mohsen Fakhrizadeh, verübt. Wie man heute weiß, wurde das Attentat durch den israelischen Geheimdienst - mit Wissen der USA - ausgeführt.

Die Eskalationsspirale begann sich wieder zu drehen.

Die Hardliner im Iran reagierten erzürnt, und erließen im iranischen Parlament ein Gesetz, wonach unter anderem der Zugang für die IAEA-Inspektoren zu den wichtigsten beiden Atomanlagen im Iran drastisch eingeschränkt wurde.

Grossi reiste im Februar dieses Jahres daher abermals in den Iran und verhandelte erneut, mit dem Ergebnis, dass den Inspektoren weiterhin Zugang zu den Atomanlagen Natanz und Fordow im Iran gewährt wurde, wenngleich in etwas geringerem Ausmaß.

Die Erleichterung war groß, denn auf politischer Ebene begannen die USA unter der neuen Administration gemeinsam mit den europäischen Staaten nun eifrig an einer möglichen diplomatischen Lösung zur Rettung des Atomdeals zu basteln. Weitere Provokationen durch Iran konnte man da nicht gebrauchen.

Doch die Atempause war wieder nur von kurzer Dauer.

Am 23. Februar gab die IAEA bekannt, dass jene Proben, die vergangenen Herbst im Iran gesammelt wurden, tatsächlich Spuren von Uran enthielten. Das war ein Hinweis darauf, dass der Iran vor zwei Jahrzehnten ein geheimes Atomprogramm verfolgt haben könnte, dass vor der Welt geheim gehalten wurde.

Großbritannien, Deutschland und Frankreich wollten daher diese Woche in Wien ein klares Zeichen setzen, und den Iran in einer vom IAEA-Gouverneursrat verabschiedeten Resolution verurteilen.

Der Iran drohte abermals, und ließ verlauten bei Verabschiedung einer Resolution den von Grossi verhandelten Zugang der Inspektoren zu den iranischen Atomanlagen komplett aufzukündigen. Ein derart drastischer Schritt durch den Iran hätte sicherlich sämtliche diplomatische Bemühungen zur Bewahrung des Atomabkommens vorerst zunichtegemacht.

Abermals war es Grossi, der den diplomatischen Bemühungen wieder die Tür öffnete.

Gespräche über ungeklärte Atomfunde

Er rang dem Iran die Zustimmung zu Gesprächen über die ungeklärten Atomfunde ab, und verkündete, bis zum Sommer Klarheit über die gefundenen Uran-Partikel zu schaffen. Die europäischen Staaten zeigten sich besänftigt und zogen am Donnerstag die geplante Resolution zurück.

Somit haben die USA und der Iran nun eine echte Chance das Atomabkommen aus dem Jahr 2015 zu retten. Sie sollten schnellstmöglich durch die Türe gehen, die Grossi für sie geöffnet hat. Denn der Erfahrung nach schließt sich die Tür auch wieder schnell.

Der Iran sollte das gewonnen Zeitfenster nutzen und nun endlich einem Treffen mit den USA und den anderen Vertragspartnern des Wiener Atomabkommens zustimmen. Ein kontinuierliches Beharren darauf, dass die USA zuerst sämtliche Sanktionen aufheben müssen, bevor ein Treffen stattfinden kann, wird zwangsläufig wieder in einer Sackgasse enden.

Die USA sollten ihrerseits von der Bedingung abrücken, dass der Iran zuerst sämtliche Verletzungen des Atomabkommens, wie etwa die Menge an Uran oder den Grad der Urananreicherung, zurücknehmen soll.

Ein informelles Treffen sollte nun ohne weitere Vorbedingungen durch die Europäische Union einberufen werden, um einen klaren und abgestimmten Plan für die Rückkehr des Iran und der USA in das Atomabkommen festzulegen.

Stephanie Liechtenstein (* 1976) ist freie Journalistin in Wien. Von 2002 bis 2008 war sie Mitarbeiterin der OSZE.

E-Mails: debatte@diepresse.com 

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