Vergewaltigungsprozess: Mann gesteht teilweise und geht frei

So mancher Gerichtsakt hat es in sich - im Zweifel ist der Angeklagte freizusprechen.
So mancher Gerichtsakt hat es in sich - im Zweifel ist der Angeklagte freizusprechen. Clemens Fabry
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Das für Sexualstrafverfahren klassische Aussage-gegen-Aussage-Dilemma zeigte sich bei einer Gerichtsverhandlung in Wien auf geradezu exemplarische Weise.

Der Fall birgt genau jene Komponenten, die es einem Strafgericht maximal schwer machen: Ein Medizintechnologe soll eine Kollegin am Arbeitsplatz vergewaltigt haben. Die Szenen spielten sich vorigen August in einem Röntgenraum innerhalb eines Wiener Ordenskrankenhauses ab. Der Prozess endete mit einem Freispruch.

Dieser Ausgang wirkt angesichts der Verantwortung des Angeklagten kurios. Denn: Der 26-Jährige hatte ein Teilgeständnis abgelegt. Aber der Reihe nach.

Die Staatsanwältin umriss den schwer einzuordnenden Sachverhalt so: Der Mann habe schon vor der Tat immer wieder „sexuelle Anspielungen getätigt“. Das Opfer habe „Unbehagen zu verstehen gegeben.“ So habe das Opfer auch am Tattag reagiert, als der Mann der Frau zuerst auf deren Oberschenkel gegriffen und sie am Hals geküsst habe. Schließlich habe der Mann eine (wie es im Vergewaltigungs-Paragrafen heißt) dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung vorgenommen.

Anklage: „Er drückte sie kraftvoll gegen eine Wand"

Dabei soll der Krankenhausmitarbeiter - er wurde nach Bekanntwerden der Vorgänge fristlos entlassen - die Frau gegen die Wand gedrückt haben. Sie habe ihn „angefleht“, aufzuhören. Dies soll sich eben in einem kleinen Raum im Krankenhaus abgespielt haben.

Während des gesamten Geschehens hatte der Mann dieses „Kammerl“ kurzzeitig verlassen, um dann wiederzukehren. Die junge Frau, die ebenfalls als Medizintechnologin arbeitete, blieb auch in dessen  Abwesenheit dort. Ein Punkt, auf den nun Strafverteidiger Roland Friis hinwies: „Er hat den Raum zweimal dazwischen verlassen. Er musste was erledigen.“

Weiter laut Verteidiger Friis: „Sie wollte eine Beziehung mit dem Angeklagten. Sie fragte ihn immer, wie es mit seinen Gefühlen für sie stehe. Er hingegen wollte nur was Sexuelles. Das hat sie nicht gut verdaut.“ Nicht unerwähnt blieb allerdings auch, dass das Opfer in einer festen Beziehung lebte und bis heute lebt.

Demgegenüber arbeitete die Privatbeteiligten-Vertreterin, die auf Opferschutz spezialisierte Anwältin Sonja Aziz, heraus, dass die Frau auch bei einem später mit dem Angeklagten geführten Telefonat, welches aufgezeichnet wurde und nun als Beweismittel dem Gericht vorlag, bezeichnende Angaben gemacht habe. So habe die Frau den Mann zur Rede gestellt und diesen daran erinnert, dass sie sich „gewehrt“ habe. Außerdem sei bei der Frau mittlerweile eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden. Sie habe die Ereignisse nicht verdrängen können und (auf eigene Kosten) eine Psychotherapie absolviert.

Entschuldigungen per Telefon und im Gerichtssaal

Der nunmehrige Angeklagte hatte sich schon damals am Telefon mehrmals entschuldigt. Er sei zu weit gegangen.

Dies war nun auch seine Verantwortung im Straflandesgericht Wien: Er habe die Frau im Intimbereich berührt (sie sei aber noch mit einer Hose bekleidet gewesen). Und dabei eine Grenze überschritten. Dessen bekenne er sich schuldig. Von Vergewaltigung könne aber keine Rede sein. Es sei nicht richtig, ihn „wie einen Sexualstraftäter“ zu behandeln, erklärte der junge Mann, der im dunkelblauen Anzug, mit Krawatte, erschienen war und seine Position durchaus eloquent vortrug.

Vor der Aussage des Opfers wurde die Öffentlichkeit (wie zu erwarten war) auf Antrag der Frau ausgeschlossen. Deren Schilderung blieb der Prozessöffentlichkeit somit unzugänglich.

Ehe sich der Schöffensenat zur Urteilsberatung zurückzog, sagte eine seinerzeitige Arbeitskollegin des Mannes und der Frau aus, dass es im Krankenhaus mitunter zu freizügigen Gesprächen und Geplänkel mit erotischen Anklängen gekommen sei. Sie selbst sei einmal von dem nunmehrigen Angeklagten in einem Pool an intimer Stelle berührt worden, habe aber sofort eine Grenze aufgezeigt. Als sexuelle Attacke wollte die Zeugin dies ausdrücklich nicht verstanden wissen. Über das Opfer sagte die Zeugin unter Wahrheitspflicht: „Sie spielte mir ihren Reizen."

Der Zweifelsgrundsatz sticht

Was tat nun der Schöffensenat unter dem Vorsitz von Richterin Elisabeth Reich? Der Senat sprach den 26-Jährigen frei. Denn: „Ihnen kommt der Grundsatz ,Im Zweifel für den Angeklagten‘ zugute.“

Die Richterin fand in der Urteilsbegründung ehrliche Worte: „Wir wissen beim besten Willen nicht, was da passiert ist.“ Man müsse aber schon sagen: Die Glaubwürdigkeit des Opfers habe im Verlauf des Verfahrens „gelitten“. Und: „Zwischen Ihnen beiden war eine gewisse Anziehung.“ In Richtung Opfer sagte die Richterin: „Zu sagen, da war gar nichts, ist nicht glaubwürdig."

Dass es zu einer Vergewaltigung gekommen sei – „das glauben wir nicht.“ Dass etwas passiert sei, was die Frau nicht wollte – „das glauben wir schon“.

Aber warum erfolgte dann keine Verurteilung wegen sexueller Belästigung? Dies gibt der Mann ja auch zu.

Hier kommt eine (von Prozessbeteiligten immer wieder übersehene) rechtliche Komponente ins Spiel. Noch im Ermittlungsverfahren hätte das Opfer die Ermächtigung geben müssen, dass auch in diese Richtung, also in Richtung Paragraf 218 Strafgesetzbuch ("Sexuelle Belästigung"), ermittelt wird. Diese Ermächtigung lag aber nicht vor. Und so stand einzig und allein das (Offizial-)Delikt „Vergewaltigung“ zur Debatte.

Die Staatsanwältin erklärte, sie werde den Freispruch nicht bekämpfen. Die Opfer-Vertreterin gab keine Erklärung ab, weshalb das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Nach Ende der Verhandlung wurde die Sache von Beobachtern noch intensiv diskutiert. Ein Mann, der sich teilweise schuldig bekennt und freigeht, weil im Vorfeld ein Formalakt unterblieben ist - dies bietet Stoff für Kontroversen.

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