Ein Präsident auf zu hohen Stelzen

Praesident hohen Stelzen
Praesident hohen Stelzen(c) EPA (CAROLINE BLUMBERG)
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Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy hat die von ihm selbst geschürten Erwartungen nicht erfüllt. Angeschlagen bietet er nun reichlich Angriffsflächen - innen- wie außenpolitisch.

Nicolas Sarkozy ist eine Enttäuschung. Zu diesem ernüchterndem Schluss ringen sich in Frankreich auch so manche Wähler durch, die sich 2007 für sein Reformprogramm begeistert hatten. Aus dem Ausland kommt meist nur nackter Hohn.

Der große Reformer hat sich als Staatsmann von kleinem Format entpuppt. Das Magazin „The Economist“ hat ihn deswegen mit echt britisch-bissigem Humor karikiert: Neben einer eleganten Carla Bruni ragen von Sarkozy nur die Füße aus einem übergroßen Napoleon-Dreispitz hervor. Unter dem Titel „Der unglaublich schrumpfende Präsident“ wird mit einem Staatschef abgerechnet, dem es nicht an weitsichtigen Plänen und außerordentlichen Ambitionen fehlte. Diese scheiterten nicht etwa am Widerstand der für ihre Streitsucht oder Streiklust renommierten Franzosen.

Regierung ersetzt

Auch die internationale Krise mit ihren Auswirkungen auf die französische Volkswirtschaft kann nur zum Teil für den nur sehr zaghaften Wandel in Frankreich verantwortlich gemacht werden. Die Frage stellt sich darum, ob nicht die politische Umsetzung eines mehrheitlich gutgeheißenen Programms zu wünschen übrig lässt. Die Frage richtet sich primär an die Regierung. Diese kann sie aber nur direkt an den Staatspräsidenten weitergeben. Er hat von Beginn an mit seinem Beraterstab die Regierung ersetzt, indem er alle Entscheidungen selber traf. Er trägt damit auch die volle und alleinige Verantwortung und muss sich jetzt nicht wundern, wenn seine Landsleute von ihm und nicht von Premierminister François Fillon, den die meisten kaum kennen, Auskunft und Rechenschaft zum Zustand der Nation verlangen.

Sarkozy wollte die Modernität verkörpern, er trat an mit der Devise, er werde alte Zöpfe abschneiden und mit Tabus und unzeitgemäßen Traditionen brechen. Beliebt macht man sich damit nicht in Frankreich. Er hatte aber auch versprochen, man werden ihn an seinen Leistungen messen können. Genau das lassen sich die Bürger nun nicht nehmen und sie reklamieren: Wo ist beispielsweise der Kaufkraftgewinn, den Sarkozy ihnen angekündigt hatte? Seine Wahlparole „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“ hatte vielen eingeleuchtet. Jetzt aber wächst das Gefühl, dass die Einkommen aus der Arbeit stagnieren oder sinken, während die Arbeitslosigkeit zunimmt. Die akkumulierten Schulden zwingen Frankreich zu schmerzlichen Sparmaßnahmen auf Kosten der sozialen Errungenschaften.

Weil Sarkozy sein ursprüngliches Programm nicht verwirklichen kann, improvisiert er, indem er in der Innenpolitik auf die Tagesaktualität der Medien und das Stimmungsbarometer der Umfragen reagiert. Er schlüpft dazu gern in die Rolle des Innenministers, in der er früher so erfolgreich gewesen war, indem er den Kriminellen oder auch der illegalen Einwanderung den Kampf angesagt hatte.

Roma als Ablenkungsmanöver

Nicolas Sarkozy meinte, mit der Abschiebung von Roma-Familien diesbezüglich ein Exempel statuieren zu können. Dieser Schuss ging wider Erwarten nach hinten los. Schuld daran sind Sarkozys Mitarbeiter, die in ihrem Übereifer die Grenze zur ethnischen Diskriminierung in sträflicher Weise überschritten haben. Statt Beifall erntet die französische Staatsführung nun Kritik aus dem In- und Ausland. Dass die Pariser Führung nach einem geharnischten Tadel aus Brüssel sich rechthaberisch jede Belehrung verbeten haben will, vergrößert nur noch die Autoritätskrise des Präsidenten.

Es ist symptomatisch, wie nun französische Magazine von links bis rechts Sarkozy als Politiker porträtieren, der mit seinem Latein am Ende ist und mit dem Rücken zur Wand in der Defensive steckt. „Marianne“ nannte ihn auf der Titelseite ungestraft den „Schurken der Republik“, und „Le Nouvel Observateur“ bildet ihn wie auf einem Fahndungsfoto ab und stellt die rhetorische Frage: „Ist dieser Mann gefährlich?“ Für die linke Opposition leugnet der Präsident mit seiner repressiven Sicherheitspolitik sogar die großen Prinzipien von Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit. Aber auch eher rechts stehende liberal gesinnte Zeitschriften wie „Le Point“ stimmen ins Klagelied über Nicolas Sarkozy ein: „Ist er denn ein Versager?“

Durch laufende Enthüllungen über die Verwicklung der Staatsspitze in Wahlspenden und Machtmissbrauch in der Bettencourt-Affäre ist der Unmut zu einer moralischen Krise ausgewachsen, die generell die Glaubwürdigkeit der Staatsführung untergräbt.

Katastrophale Umfragewerte

Im eigenen Lager wächst die Skepsis. Der Präsident möchte Ende Oktober oder Anfang November bei einer Regierungsumbildung den bisherigen Premierminister François Fillon ersetzen. Laut einer Umfrage bei den Wählern der Regierungspartei UMP wollen aber 86 Prozent, dass der stille Fillon bleibt. Er erscheint ihnen im Unterschied zum zunehmend nervösen Sarkozy, dem laut Meinungsforschern weniger als ein Drittel der Befragten ihr Vertrauen aussprechen, wie ein Garant für Stabilität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2010)

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